Dieses Mal konnten wir die Sopranistin Ute Ziemer für ein Interview gewinnen: Im Gespräch mit uns erzählte Ute unter anderem, was ihr das „Goethe-Projekt“ bedeutet und wofür sie sich mit ihrer Kunst, aber auch im Rahmen ihrer Tätigkeit beim musica femina münchen e. V., einsetzt.
PianoMe (PM): Liebe Ute, es ist uns eine große Freude, dass Du zu einem Interview mit PianoMe bereit bist! Vielen Dank Dir für Deine Zeit!
Ute Ziemer (UZ): Sehr gerne, ich freue mich, dass Ihr mich eingeladen habt!
PM: Das ist toll, danke! Zuerst wollen wir Dich unseren Leserinnen und Lesern gerne kurz vorstellen, obwohl Dich viele sicherlich bereits kennen: Du bist Sängerin im Bereich Oper, Operette und Oratorium. Mit Deiner einzigartigen Stimme hast Du bereits unter anderem an der Kammeroper Wien, am Badischen Staatstheater Karlsruhe und bei den Opernfestspielen St. Margarethen sowie im Concertgebouw Amsterdam, in der Chicago Symphony Hall, in der Wigmore Hall London und in dem Philharmonie und Konzerthaus Berlin geglänzt. Du hast bereits auch einige CDs veröffentlicht. Zeit für exzentrische Allüren hast Du aber trotzdem nicht, denn auch außerhalb der Bühne setzt Du Dich, wie zum Beispiel als Vorstandsmitglied im musica femina münchen e. V., für die Werke von Komponistinnen ein.
UZ: Genau! Da ich von Natur aus wissbegierig bin, bin ich in vielen unterschiedlichen Genres aufgetreten.
PM: Beeindruckend! Magst Du uns zunächst etwas über Deine „Wurzeln“ erzählen?
UZ: Meine Wurzeln liegen in einer ganz klassischen Grundausbildung: Klavierunterricht mit 6, am musischen Gymnasium Aschaffenburg Geige und Chor, später auch ein bisschen Gesangsunterricht und das erste Musiktheater: die „Beggars Opera“ von Gay & Pepusch, eine echt engagierte Schulproduktion. Dann habe ich mich zunächst für Musicals interessiert, ich konnte gut tanzen und spielen, und war dann mehrere Jahre Musicaldarstellerin am Theater Pforzheim und natürlich bei der Welturaufführung von Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ in Wien. Gleichzeitig habe ich meine Stimme weiter ausgebildet, was manchmal gar nicht einfach war, aber schließlich habe ich auch Opern und Operetten singen können. Liedgesang fand ich zunächst langweilig- bis ich Elisabeth Schwarzkopf traf. Sie hat mir deren Vielfalt und Möglichkeiten in großer Genauigkeit vermittelt.
PM: Spannend! Diese vielen Erfahrungen haben Dich sicherlich zu einer vielschichtigen Musikerin geformt. Es stellt sich mir gerade die Frage, ob sich durch die unglaublich großen gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre, wie z.B. die Pandemie und Kriege sowie die damit verbundene Flucht und Vertreibung, Dein Blick auf die Oper und auf musikalische Werke verändert hat?
UZ: Vielleicht nicht der Blick auf die Werke, aber sicher der Blick auf das Musiktheater-geschäft und den Umgang mit den Künstler:innen.
PM: Sehr interessant! Siehst Du dann aus diesem Blickwinkel bestimmte Opernrollen heute ganz anders als noch vor einigen Jahren?
UZ: Schwierige Frage. Ich singe sie auf jeden Fall anders als vor 10 Jahren, da meine Stimme größer wurde, ein natürlicher Prozess, wenn man sich nicht versingt.
PM: Wo wir schon über die Rollen sprechen: Tragik, Schmerz, Hoffnung, um nur einige Eigenschaften zu nennen, kommen in vielen Arien zusammen. Du musst als Sängerin alles geben, um das alles in diesen wenigen Minuten dem Publikum zu singen und auch zu zeigen. Funktioniert das alles mit der Zeit automatisch oder musst Du jedes Mal aufs Neue üben? Kann man sowas überhaupt erlernen oder kann sowas nur durch die entsprechende Erfahrung kommen?
UZ: Natürlich hilft die Erfahrung, um eine Rolle auf der Bühne darzustellen. Die Duette und Ensembles muss ich aber jedes Mal neu lernen und trainieren. Gott sei Dank macht mir das tägliche Üben aber großen Spaß!
PM: Und ist Dein Umgang mit Deinen Rollen mehr Reproduktion, Rezeption, Interpretation oder doch Reflexion?
UZ: Als Sängerin muss ich erstmal den ganzen Text behalten und pünktlich einsetzen. Anders als ein Schauspieler kann ich mir nicht die Zeit lassen, in meinem Innersten nach dem gesuchten Gefühl zu graben, sondern muss auf den Punkt abliefern. Das ist natürlich schwierig und bedarf langer Vorbereitung, denn es darf den Zuschauern nicht auffallen. Es ist keine Reproduktion, sondern immer wieder neu und live, und die Reflektion findet vorher statt. Kaum jemand stellt sich vor, wieviel Vorarbeit Sänger:innen schon beim Einstudieren der Musik leisten- ein crescendo z.B. kommt, meistens als Ausdruck eines Gefühls, aber welches? Das klären wir schon vorher und hoffen, die Regie verlangt nicht das Gegenteil.
PM: Wo wir schon über die Bandbreite der Gefühle sprechen: Haben Dich die Goethe-Texte, die von witzig bis traurig quasi die komplette Bandbreite abdecken, zu Deinem Goethe-Projekt inspiriert? Oder wie bist Du auf die Idee gekommen?
UZ: (Lacht) Ja, Goethe kann besonders schön Traurigkeit in Worte fassen, das stimmt. Die Mignon-Lieder aus „Wilhelm Meister“ habe ich schon von verschiedenen Komponisten gesungen, Schubert natürlich und Hugo Wolf. Diesmal kommt Robert Schumann zum Zug. Bei Goethe fasziniert mich, dass auch seine Liebe zur Natur so aktuell ist- „müsset im Natur betrachten immer eins wie alles achten“.
PM: Sehr interessant! Und was bedeutet Dir dieses Projekt persönlich?
UZ: Dieses Projekt, das ich schon seit vielen Jahren vorbereitet habe, bedeutet mir nichts weniger, als dass es mich ideell über die Pandemie gerettet hat. Da war es besonders wichtig, ein Ziel zu haben, das sich auch verwirklichen lässt! Das Konzert der Uraufführungen fand genau eine Woche statt, nachdem im Juni 2021 nach dem Lockdown wieder Konzerte erlaubt waren, mit komplizierten Anwesenheitslisten und mit halber Zuschauerzahl, aber immerhin!
PM: Beeindruckend! Du wirst bei diesem Projekt sehr ausdrucksvoll von Hiroko Imai am Klavier begleitet. Wie kam es zu Eurer Kooperation?
UZ: Hiroko kenne ich schon sehr lange- wir haben während des Studiums in Wien im gleichen Haus gewohnt und sie hat jeden Tag die Goldberg-Variationen von Bach geübt- eines meiner Lieblingsstücke. So kamen wir in Kontakt, ich bin Patin ihres Sohnes Kei und auch nach meinem Wegzug von Wien sind wir private Freunde geblieben. Umso schöner, dass wir jetzt auch zusammen auftreten können!
PM: Das Projekt ist Euch definitiv gelungen! Außerdem hast Du mit diesem Projekt noch einmal sehr bemerkenswert Deine eigene Vielfalt unterstrichen. Ich persönlich finde das Projekt einfach klasse! Ich würde jetzt gerne aber ganz kurz das Thema wechseln. Mich würde auch interessieren, was Dir im Rahmen Deiner Tätigkeit beim musica femina münchen e. V. besonders wichtig ist? Wo liegen Deine Schwerpunkte?
UZ: Bei musica femina setze ich mich naturgemäß vor allem für diejenigen Komponistinnen ein, die für Stimmen schreiben. Das sind ja nicht nur Clara Schumann und Fanny Hensel, um die vielleicht Bekanntesten zu nennen, sondern auch die Münchnerin Josephine Lang (1815-1880), Emilie Mayer oder aus der Gegenwart Julia Schwartz und Dorothea Hofmann.
PM: Was denkst Du, woran es liegt, dass der Anteil der bekannten Komponistinnen eigentlich sehr gering ist? Das betrifft ja nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart und es hat sich ja bereits einiges verändert.
UZ: Die Gründe dafür sind und waren vielfältig. In der Klassik und Romantik waren es meist Töchter aus Musikerfamilien, denen es erlaubt war, mit ihrer Musik in die Öffentlichkeit zu treten oder gar dafür bezahlt zu werden. Felix Mendelssohns Schwester Fanny wurde das vom Vater als ungehörig verboten, für das Klavier-Wunderkind Josephine Lang war es aber eine Notwendigkeit, mit bis zu 8 Klavierstunden auch als 12-jährige zum Haushalt beizutragen. Immerhin wurden ihre Kompositionen schon mit 16 verlegt, darum mussten andere erst kämpfen. Heutzutage ist schon ein Wandel bemerkbar, allerdings sind im Klassikbereich nach wie vor nur 2 % der aufgeführten Werke von Frauen. Ich hoffe noch auf eine Studie zum aufgeführten Liedrepertoire.
PM: Ist auf jeden Fall eine sehr interessante und zweifellos wichtige Aufgabe! Danke Dir für Deinen Einsatz! Die nächste Frage kann ich mir leider nicht ersparen (lacht). Es haben sich inzwischen sehr viele Sänger:innen, auch prominente, unserer PianoMe-Familie angeschlossen. Haben es Sänger:innen schwieriger als andere Musiker:innen, einen Proberaum zu finden? Was hältst Du generell von unserem PianoMe-Projekt?
UZ: PianoMe ist eine super Idee und die Umsetzung auch einfach zu handhaben. Gerade für dieses Goethe-Konzert können wir am Tag vorher nicht im Veranstaltungssaal proben, sind aber beide von Wien und München angereist. Da lässt sich über die Seite ganz einfach jemand finden, der sein Klavier gegen eine kleine Miete zur Verfügung stellt. Ja, ich denke schon, dass ungestörte Übungsräume besonders für Sänger:innen immer wieder ein Thema sind.
PM: Herzlichen Dank Dir für Deine Meinung! Diese ist uns sehr wichtig! Was sind abschließend Deine Ziele für die Zukunft? Welche neuen Partien würdest Du gerne singen und welche vielleicht nicht?
UZ: Ich bereite Partien von Wagner vor, wie Elisabeth aus „Tannhäuser“. Auch Operetten möchte ich gerne wieder singen und spielen. Eigentlich gibt es keine Bühnenfigur, über die ich mich nicht freuen würde!
PM: Liebe Ute, wir danken Dir für das sehr interessante Gespräch! Wir wünschen Dir alles Gute sowie viel Erfolg mit allem, was Du noch vorhast! Wir bleiben in Kontakt.
UZ: Und ich danke herzlich für Eure wertvolle Arbeit!