PianoMe Talks: Interview mit Martin Behm, Vizepräsident des DTKV

PianoMe Talks: Interview mit Martin Behm, Vizepräsident des DTKV

Die Leitung einer Musikschule wird zunehmend zur Belastungsprobe.

Bürokratische Hürden, finanzielle Engpässe und gesellschaftliche Veränderungen, die auch vor der Kunst nicht Halt machen, prägen den Alltag vieler Verantwortlicher und setzen sie spürbar unter Druck.

Um Ursachen und mögliche Lösungswege zu beleuchten, sprachen wir mit einem Experten, der die Musikschullandschaft wie kaum ein anderer kennt: Martin Behm, Vizepräsident des Deutschen Tonkünstlerverbands (DTKV). Als Leiter der Musikschule Behm, Bertheau & Morgenstern und langjähriger engagierter Vertreter musikalischer Bildungsarbeit verfügt er über umfassende Erfahrung und tiefgehende Einblicke in die Praxis.

Im Gespräch erläutert Martin Behm, wie sich die Musikschullandschaft derzeit verändert, welche Folgen das sogenannte Herrenberger-Urteil mit sich bringt und welche Maßnahmen der DTKV im Zuge der anstehenden Gesetzesänderungen empfiehlt.

Lesen Sie, welche Weichen aus seiner Sicht jetzt gestellt werden müssen, damit musikalische Bildung als unverzichtbares Kulturgut auch künftig einen festen Platz in unserer Gesellschaft behält.


PianoMe (PM): Lieber Martin, vielen Dank für Deine Zeit. Wir freuen uns sehr, dass Du PianoMe für ein Interview zur Verfügung stehst.

Martin Behm (MB): Ich danke Euch für die Möglichkeit, hier umfassend Stellung nehmen zu können. Ich bin sehr gern dabei.

PM: Das ist toll, danke! Zuerst wollen wir Dich unseren Leser:innen gerne kurz vorstellen, obwohl Dich viele sicherlich bereits kennen: Du bist nicht nur Teilhaber der privaten Musikschule „Behm, Bertheau & Morgenstern“, sondern auch  Vizepräsident des DTKV und der Präsident des Landesverbands Brandenburg des Deutschen Tonkünstlerverbands. Durch Deine Tätigkeiten konntest Du Dir umfangreiche Einblicke in verschiedenste Bereiche der Musikbranche erarbeiten und setzt Dich weiterhin für musikpolitische Themen ein. 

MB: Das ist alles richtig. Ich habe ursprünglich Schulmusik mit Hauptfach Klavier studiert und bin seit meiner Studienzeit selbstständig tätig. Über die letzten 20 Jahre konnte ich vielfältige Erfahrungen sammeln. Eben diese Vielfalt und die damit immer wieder verbundenen neuen Herausforderungen begeistern mich und wecken neuen Ehrgeiz. Lag der Fokus früher eher auf Ensemble- und Bandprojekten, hat er sich über die letzten Jahre in Richtung Musikpädagogik entwickelt. Ob es der Klavierunterricht an der Musikschule ist, die Betreuung der Bigband, der Lehrauftrag an der Fachhochschule oder Gruppenunterricht für die Quereinsteiger:innen ins Lehramt Musik – innovative Unterrichtskonzepte und persönliche Leidenschaft sind mein Rezept für Lernerfolg und glückliche Schüler:innen.

Für die Leitung einer Musikschule ist das natürlich nur ein Puzzleteil und umso größer die Schule wird, desto mehr Herausforderungen muss man meistern, wenn man erfolgreich bleiben will. Ich habe Krisen immer als Chance begriffen, sie haben unsere Musikschule am Ende stets weitergebracht, egal wie existenzbedrohend sie manchmal daherkamen.

Du hast es schon angesprochen. Das verbandspolitische Ehrenamt begleitet mich ebenfalls schon einige Jahre. Die Krisen der letzten 5 Jahre waren und sind auch für Musiker:innen eine enorme Herausforderung. Der DTKV als größter Berufsverband für Musiker:innen spiegelt die enorme Bandbreite des Musiker:innenberufs wider. Wenn man im Präsidium tätig ist, muss man alle Mitglieder im Blick haben und ein Gespür für die Bedürfnisse mitbringen. Da wir in der Musikschule schon immer partnerschaftlich und auf Augenhöhe mit unseren Lehrkräften zusammenarbeiten, ist mir diese Herangehensweise sehr vertraut.

Das aktuelle Berufsbild der Musikschullehrerin/des Musikschullehrers

PM: Diese Haltung zeigt, wie sehr Du die strukturellen und menschlichen Seiten des Musikschulbetriebs miteinander verbindest. Gleichzeitig lenkt sie den Blick auf eine Frage, die viele Lehrkräfte betrifft: das aktuelle Berufsbild und die Arbeitsbedingungen an Musikschulen. Ich würde vorschlagen, dass wir damit starten, dass wir eine Brücke zu dem aktuellen Berufsbild des Musikschullehrers bzw. der Musikschullehrerin schlagen. Viele Musiklehrer:innen und andere Kulturschaffende lieben zwar ihre Arbeit, müssen aber oft unter prekären Arbeitsbedingungen arbeiten. In einem unserer Interviews mit einer Musikdozentin erzählte diese uns, dass zum Beispiel Verträge, die jedes Semester erneuert werden, Unruhe und Instabilität bringen. Diese setzen insbesondere Musiker:innen, die Familie haben, sehr unter Druck und Leistungsdruck.1 Es kommt sogar häufiger vor, dass viele Musiker:innen einen Nebenjob zum reinen Überleben brauchen. Teilt sich dieser Eindruck auch mit Deinen Erfahrungen aus den Diskussionen in verschiedenen Gremien?

MB: Niemand wird bestreiten, dass die Bezahlung von Musikpädagog:innen oft prekär ist. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und haben leider eine lange Tradition. Ob es die ungerechte Verteilung von Fördermitteln ist, die bewusst niedrig gehaltenen Gebühren an öffentlichen Musikschulen, unabhängig vom Einkommen der Eltern, die nach wie vor zu geringe Wertigkeit von Instrumental- und Gesangsunterricht in der Gesellschaft, besonders wenn man die Exklusivität des Einzelunterrichts betrachtet und anderes mehr. Als Musikschulinhaber kann ich sagen: Wir kämpfen seit Beginn der Musikschularbeit für eine Verbesserung der Situation, leider mit mäßigem Erfolg. Wir sind ja teilweise froh, wenn die Situation nicht noch schlechter wird – Beispiel: Umsatzsteuer auf Musikunterricht oder eben die Auslegung des Herrenberg-Urteils durch die Deutsche Rentenversicherung. Das würde sich beides negativ auch auf die finanzielle Situation der Lehrkräfte auswirken. Dass innerhalb dieses finanziell angespannten Systems auch noch teilweise katastrophale Arbeitsbedingungen herrschen und schlecht mit Arbeitnehmenden und Auftragnehmenden umgegangen wird, erschüttert mich immer wieder. Die öffentliche Hand geht leider zu oft mit schlechtem Beispiel voran. Herrenberg war eines davon, Berlin macht es nicht besser. Aber auch im privaten Bereich gibt es Musikschulleitungen, die kein gutes Bild abgeben. Das sind Sachen, die müssen nicht sein. Gute Arbeitsbedingungen, und damit verbunden ein angenehmes Arbeitsklima, kann man überall schaffen, wenn man es denn möchte.

PM: Du sprichst damit einen sensiblen Punkt an. Kann es sein, dass Musiklehrer:innen selbst meist prekäre Arbeitsbedingungen einfach hinnehmen und damit verhindern, dass die Kultur ein kritischer Raum für den Diskurs über Arbeit, Armut und Ausbeutung werden kann? Oder haben diese einfach keine Wahl?

MB: Das kann ich so nicht bestätigen. Die allermeisten Musiker:innen, die ich kenne, leben für die Kunst. Sie haben unzählige Stunden ihres Lebens damit verbracht, ihre musikalischen Fähigkeiten zu perfektionieren. Diese Fähigkeiten weiterzugeben, ist für die meisten Musiker:innen eine Selbstverständlichkeit und ein innerstes Bedürfnis. Dennoch gibt es auch hier Menschen, die sich für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen stark machen. Das ist wichtig und im DTKV kämpfen wir fast immer Seite an Seite. Über die richtigen Strategien gibt es Diskussionen, aber das Ziel ist immer dasselbe.

Herrenberg-Urteil: Auswirkung auf Musikschulen

PM: Seit dem sogenannten Herrenberg-Urteil sind Musikschulen dazu verpflichtet, ihre Lehrkräfte fest anzustellen. Obwohl dies nach einer fairen und sinnvollen Maßnahme klingt, sorgt es landesweit auch für deutliche Kritik und versetzt meiner Meinung nach viele Musikschulen in große Sorge. Du warst ja im vergangenen Jahr selbst Petent der Bundestagspetition „Gesetzesinitiative zur Sicherung der Selbstständigkeit von Lehrkräften und Soloselbstständigen im Bildungs- und Kulturbereich.“ Wie sieht es diesbezüglich aktuell in Deiner Musikschule aus?

MB: Es tut mir leid, aber ich muss Deiner Frage widersprechen. Seit dem sogenannten Herrenberg-Urteil sind eben nicht alle Musikschulen verpflichtet, die für sie tätigen Lehrkräfte fest anzustellen. Wenn die Sache so gelagert ist, wie es in Herrenberg der Fall war, dann stimme ich dir zu. Allerdings ist dem oft nicht so und es muss auch nicht so sein. In Folge des Herrenberg-Urteils hat die DRV eine Verwaltungsanweisung herausgegeben, die auf alle Bildungsanbieter:innen gleichermaßen angewendet wird. Infolgedessen wurden sämtliche Tätigkeiten von Lehrkräften bei Statusfeststellungsverfahren und Betriebsprüfungen als „abhängig beschäftigt“ eingestuft. Wir im DTKV, aber auch in vielen anderen Verbänden, sind der Meinung, dass dieses Vorgehen rechtswidrig war und ist. Deshalb habe ich gemeinsam mit einigen sehr engagierten Mitstreiter:innen die Petition initiiert und im letzten Jahr begonnen, massiv Lobbyarbeit für den Erhalt der Selbstständigkeit im Auftrag Dritter zu machen. Es gab eine Zeit im Frühjahr 2024, da waren der Justiziar des DTKV und DBfT, Hans-Jürgen Werner, und ich gefühlt die beiden einzigen Menschen, die davon überzeugt waren, dass Lehrkräfte auch in Zukunft an Bildungseinrichtungen freiberuflich arbeiten können. Das Blatt hat sich dann gewendet und wir konnten durch intensive Gespräche bis in die obersten Reihen der Politik eine differenzierte Sichtweise auf die Situation im Bildungsbereich erreichen. Es kamen zahlreiche Unterstützer:innen dazu. Die Übergangsregelung war ein riesiger Erfolg für den Bildungsbereich und ich bin überzeugt, dass es auch in 2027 weiter selbstständig tätige Lehrkräfte an Bildungseinrichtungen geben wird.

An meiner Musikschule haben wir uns schon seit dem Ahaus-Urteil, auch bekannt als Gitarrenlehrerurteil, daran gemacht, die selbstständige Tätigkeit der Lehrkräfte ganz bewusst zu leben. Im vergangenen Jahr wurde dann nochmal deutlich nachgeschärft und mit den Lehrkräften gemeinsam intensiv für den Statuserhalt gekämpft. 120 Statusfeststellungsverfahren haben wir gemeinsam bei der DRV eingereicht. Das waren 2000 Seiten Papier. Mit den Folgen haben wir bis heute zu tun, auch wenn sie keine Gefahr mehr darstellen. Für mich sehr eindrucksvoll war die Tatsache, dass keine einzige Lehrkraft abgesprungen ist. Alle haben begriffen, was hier auf dem Spiel stand und gemeinsam mit uns für die Zukunft gekämpft. Das beeindruckt mich bis heute und ich bin sehr dankbar dafür! Wir hatten dann wirklich Ende 2024 sowohl eine Betriebsprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung als auch eine Lohnsteueraußenprüfung. Beide Prüfungen gingen ohne Beanstandungen über die Bühne.

PM: Du hast eindrucksvoll geschildert, wie engagiert Ihr Euch für den Erhalt der Selbstständigkeit eingesetzt habt. Wie positioniert sich der Deutsche Tonkünstlerverband in dieser Frage?

MB: Unser Präsident, Prof. Christian Höppner, hat sehr früh den Begriff des dualen Wegs geprägt. Da, wie bereits oben erwähnt, im DTKV alle Musikberufe vereint sind, mussten wir uns auf eine gemeinsame Linie verständigen. Das ging nicht geräuschlos vonstatten, ich gebe es gern zu. Allerdings kann sich das Ergebnis sehen lassen und wir werden am Ende auch Recht behalten, davon bin ich überzeugt. Es muss weiterhin sowohl Festanstellungen geben als auch selbstständig tätige Lehrkräfte. Festanstellungen sollen dort ausgebaut werden, wo es möglich und sinnvoll ist. Freiberuflichkeit für die Ausübung des Musiker:innenberufs darf dem aber nicht zum Opfer fallen. Der neu konstituierte Bundesausschuss hat ein Positionspapier2 verfasst, welches einstimmig beschlossen wurde.

PM: Du hast damit bereits den zentralen Konflikt zwischen Selbstständigkeit und Festanstellung skizziert – ein Thema, das die Musikschullandschaft derzeit besonders bewegt. Jetzt hast Du eine perfekte Brücke zu meiner nächsten Frage geschlagen: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert auch Musiklehrer:innen die freie Wahl ihres Berufs sowie die selbstbestimmte Gestaltung ihrer Tätigkeit. Aus meiner Sicht umfasst dies die Möglichkeit, die eigene berufliche Praxis flexibel zu organisieren. Ver.di fordert jedoch eine generelle Festanstellung von Lehrkräften an Musikschulen.3 In Gesprächen mit Musiker:innen höre ich hingegen immer wieder, dass sich viele eine Festanstellung kaum vorstellen können: Einerseits möchten sie weiterhin ihrer eigenen künstlerischen Arbeit nachgehen, andererseits würden die Rahmenbedingungen einer Festanstellung für manche sogar eine Verschlechterung ihrer aktuellen Situation bedeuten. Der Aspekt der Sozialversicherungspflicht ist dabei zwar relevant, scheint mir jedoch eher auf einen grundsätzlichen Reformbedarf hinzuweisen – weniger auf die Notwendigkeit einer verpflichtenden Festanstellung von Musiklehrer:innen. Deinen bisherigen Ausführungen konnte ich zwar entnehmen, dass Du es zwar ähnlich sieht, trotzdem möchte ich Dir die Frage stellen: Warum also können Musiklehrer:innen offenbar nicht frei entscheiden, wie sie ihre berufliche Tätigkeit ausüben möchten? Zumindest entsteht bei mir dieser Eindruck.

MB: Wie oben schon erwähnt, bin ich der Überzeugung, dass Lehrkräfte im musikpädagogischen Bereich sehr wohl weiterhin die Gestaltung ihrer Tätigkeiten selbst bestimmen können. Allerdings sind sie darauf angewiesen, wenn diese Tätigkeiten selbstständig an Musikschulen ausgeübt werden sollen, dass der Auftraggeber, egal ob öffentlich oder privat, die Rahmenbedingungen dafür zur Verfügung stellt bzw. ihnen die Freiheiten lässt, die laut Gesetz verpflichtend sind. Grob umrissen dürfen keine Weisungen erteilt werden und es darf keine Eingliederung in den Betrieb vorliegen.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erarbeitet gerade ein Gesetz, welches die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit im Auftrag Dritter branchenübergreifend regeln soll. Das ist keine einfache Aufgabe, denn am Ende muss es funktionieren, damit sich das Desaster vom letzten Jahr nicht wiederholt.

Wenn man mit Künstler:innen in Kontakt ist, weiß man, wie existenziell wichtig für ihre Berufsausübung der Status des Freiberuflichen ist. Anfang dieses Jahres haben die beiden größten Landesverbände im DTKV,  Bayern und Baden-Württemberg, eine große Umfrage zu diesem Thema unter ihren Mitgliedern gemacht. Das Ergebnis war jeweils sehr eindeutig. 1/3 wünscht sich die Selbstständigkeit, 1/3 möchte die freie Wahl haben und 1/3 ausschließlich fest angestellt tätig sein.

Im öffentlichen geförderten Bereich kann die Festanstellung durchaus eine finanzielle Besserstellung bedeuten. Das hängt davon ab, welche Honorare vorher gezahlt wurden und wie der Arbeitsvertrag ausgestaltet ist. Da muss man sehr aufs Detail achten, wir bekommen im DTKV diverse Blüten dieser Umwandlung zu Gesicht. Die Eingruppierung samt Erfahrungsstufe spielt eine große Rolle und natürlich, ob unbefristet eingestellt wird. Die leeren Kassen der Kommunen machen diese Umstellung aktuell nicht leichter und, das ist mir wichtig zu betonen, gefährden auch die Zukunft von Musikschulen. Unter Umständen muss das Angebot verkleinert werden, ganze Stellen werden dann gestrichen und, das passiert aktuell schon, einzelne Zweigstellen geschlossen.

Natürlich kann ich auch eine Festanstellung so gestalten, dass die Musiker:innen gewisse Freiheiten genießen und zumindest in großen Teilen weiter ihrer Kunst nachgehen können. Die Realität zeigt jedoch häufig ein anderes Bild. Der Wunsch diverser Musikschulleitungen ist sehr groß, Einfluss auf die Mitarbeitenden auszuüben und da wird teilweise ein strenges Regime geführt. Viele schreckten auch bei Honorarkräften nicht davor zurück, anzuweisen und einzugliedern – der Hauptgrund, warum wir das Herrenberg-Urteil auf dem Tisch haben.

Die einzigartige Kombination aus sozialer Absicherung durch die Künstlersozialversicherung, gepaart mit der Flexibilität der Freiberuflichkeit, sollte daher auf keinen Fall aufgegeben werden. Im Gegenteil, die KSK muss gestärkt werden, damit die Absicherung noch besser wird. Freiberuflichkeit muss in den Institutionen auch gelebt werden dürfen. Dass man mit freiberuflichen Lehrkräften eine fantastische, moderne und auf Augenhöhe basierende Musikschule führen kann, zeigt nicht nur meine eigene, sondern unzählige Schulen von Kolleg:innen in Deutschland. Da sind keine losen Haufen, sondern Musikschulen, wo Lehrkräfte und Leitung an einem Strang ziehen, weil es eine gemeinsame Vision von modernem und qualitativ hochwertigem Unterricht gibt.

Ungleiche Bildungschancen in der Musikausbildung

PM: Als Wirtschaftsunternehmen sind freie Musikschulen vollumfänglich von den Unterrichtsgebühren ihrer Schüler:innen abhängig. Wie nimmst Du aktuell das Verhalten Deiner Kund:innen wahr? Entsteht nicht der Eindruck, dass Musikunterricht zunehmend zu einem Privileg für Kinder aus finanziell gut aufgestellten Familien wird? Zwar ist mir bewusst, dass viele Musikschulen öffentlich geförderte, gemeinnützige Einrichtungen sind und damit einen Bildungsauftrag erfüllen sollen – unabhängig vom sozialen Hintergrund der Lernenden. Gleichzeitig stehen auch die kommunalen Musikschulen vor enormen Herausforderungen: knappe finanzielle Mittel, Lehrkräftemangel, drohende Schließungen und die Notwendigkeit, Gebühren zu erhöhen. Hinzu kommen teils sehr lange Wartelisten. Steht all das nicht in einem deutlichen Widerspruch?

MB: Wir hatten ja bereits zuvor das Thema mit der Wertigkeit musikalischer Bildung. Jahrzehntelange Niedriggebühren haben nicht dazu beigetragen, dass dieses Wertebewusstsein im Volk gewachsen ist. Man sieht es an den Reaktionen, wenn die Unterrichtsgebühren nun angehoben werden sollen. Ein Aufschrei geht durch die Elternschaft. Das ist natürlich nachvollziehbar, man hat sich an den Stand gewöhnt.

Musikschulen müssen für alle Schüler:innen da sein und auch für alle Einkommensschichten bezahlbar sein. Daher setze ich mich schon immer für gezielte Förderung pro Kopf ein, anstatt an der berühmten Gießkannen-Subvention festzuhalten, die nur wenigen zugutekommt. Ermäßigungen muss es dann insbesondere für einkommensschwache Eltern und Schüler:innen geben, damit die Teilhabe gewährleistet ist.

PM:  Du hast damit einen wichtigen Punkt angesprochen – die gesellschaftliche Wertschätzung musikalischer Bildung und ihre Finanzierung hängen eng zusammen. Was benötigen die freien Musikschulen Deiner Meinung nach, um die aktuellen Herausforderungen bewältigen zu können?MB: Als Allererstes Rechtssicherheit bei der selbstständigen Tätigkeit im Auftrag Dritter. Als Zweites eine garantierte Umsatzsteuerfreiheit für alle Unterrichtsangebote und zuletzt das, was sich alle Dienstleister:innen wünschen: stabile politische und wirtschaftliche Verhältnisse in Deutschland. Nur dann sind die Menschen in der Lage, an unseren Angeboten teilzunehmen.

Pädagogische Herausforderungen für Musikschulen in Deutschland

PM: Könnte die aktuelle Entwicklung langfristig dazu führen, dass es kaum noch musikalischen Nachwuchs gibt? Von einigen jungen Musiker:innen höre ich gelegentlich, dass sie sich aus Sorge um ihre berufliche Zukunft für finanziell sichere Karrierewege entscheiden – selbst dann, wenn Talent und der Wunsch vorhanden sind, den Musiker:innenberuf zu ergreifen. Darüber haben wir auch in einem unserer Interviews mit einer Dozentin gesprochen.4 Von erfahrenen Kolleg:innen wiederum erfahre ich, dass manche insbesondere nach der Covid-19-Pandemie den Beruf aufgegeben haben, weil sie das Gefühl hatten, in Zeiten finanzieller Unsicherheit kaum wahrgenommen oder unterstützt worden zu sein. Schon jetzt wird vielerorts ein deutlicher Mangel an qualifizierten Musiklehrer:innen beklagt. Wie nimmst Du diese Entwicklungen wahr?

MB: Nachwuchssorgen bleiben auch in unserer Branche nicht aus. Im ländlichen Bereich ist es deutlich schlimmer als in Ballungsräumen. Um die Musik zum Beruf zu machen, benötigt man eine gute Portion Idealismus. Nur wenige können später sehr gut davon leben oder werden sogar reich damit. Bedingt durch die Überalterung der Gesellschaft brauchen wir natürlich umso mehr junge Menschen, die ins Berufsleben nachrücken. Die Ausbildung beginnt bereits mit den Jüngsten in der Musikschule und endet mit dem Studium. Hier müssen insbesondere für die Musikpädagogik neue Wege gegangen werden und das passiert zum Teil ja auch bereits. Die Einstiege werden barrierefreier, was die Anforderungen anbelangt und das spätere Berufsziel, zum Beispiel werden Instrumentalpädagog:innen stärker in den Fokus genommen. Bei meiner Begleitung der Quereinsteiger:innen ins Lehramt Musik konnte ich wieder einmal beobachten, welche Entwicklung auch erwachsene Menschen noch nehmen können, wenn sie wirklich motiviert sind und ein klares Ziel vor Augen haben. Meines Erachtens haben wir zu lange auf Eliteförderung gesetzt und dadurch zu viele junge Menschen vergessen, die uns nun fehlen.

Ein anderer Punkt ist die Förderung der Rentner:innen, die so dringend weiter gebraucht werden. Die Aktivrente ist eine sehr gute Idee, nur leider wurden die Selbstständigen und die Freiberufler:innen außen vor gelassen. Wir kämpfen gerade darum, dass sie noch reinkommen.

PM: Du hast gerade sehr eindrücklich beschrieben, wie sich der Nachwuchs- und Fachkräftemangel in der Musikpädagogik bemerkbar macht. Inzwischen gehören zu den strukturellen Herausforderungen für Musikschulen nicht nur die Finanzierungsfrage, sondern auch die Personalentwicklung und die Anpassung an veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Woran liegt es Deines Erachtens, dass mit der Zeit die Herausforderungen nur größer werden? Ist das eine reine finanzielle Frage oder haben wir in den vergangenen Jahren die notwendigen Strukturreformen „verschlafen“?  

MB: Die Gesellschaft verändert sich, das ist normal und auch gut so. Die Pädagogik entwickelt sich weiter, weil neue Erkenntnisse zum Lernverhalten und zur allgemeinen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hinzukommen. Das merkt man auch an der neuen Unterrichtsliteratur, die fortlaufend publiziert wird.

Es ist ratsam, selbst neugierig zu bleiben und sich permanent weiterentwickeln zu wollen. Ansonsten verpasst man unter Umständen wichtige Veränderungen und findet sich auf dem Abstellgleis wieder. Ich freue mich immer wieder darüber, wenn Kolleg:innen neue Ideen mitbringen und ebenso gebe ich meine Impulse an das Kollegium weiter.

Es gibt aber auch Strukturänderungen, die zur Herausforderung werden. Der verbindliche Ganztag ist so ein Fall. Der Musikunterricht muss sich dann auf den Weg in die Schulen machen, ansonsten werden die Zeitfenster am Nachmittag zu klein. Das wird praktiziert, erfordert aber ein anderes Engagement als das Aufschließen eigener Räumlichkeiten. Also, kurz zusammengefasst: Nur wer wachsam ist und auf Veränderungen reagieren kann und sie auch willkommen heißt, bleibt erfolgreich.

Die aktuelle Rolle der Lehrerin bzw. des Lehrers in der musikalischen Ausbildung sowie meine Ziele für die Zukunft

PM: Danke Dir für Deine Meinung. Lass uns bitte kurz das Thema wechseln: Wie siehst Du die aktuelle Rolle der Lehrerin bzw. des Lehrers in der musikalischen Ausbildung?

MB: Hier muss man klar zwischen Regelschule und Instrumental- und Gesangsunterricht unterscheiden. Die Bedingungen im Schulalltag werden leider nicht besser, die Musiklehrkräfte an deutschen Schulen leisten immer wieder Pionierarbeit unter teilweise härtesten Bedingungen. Außerdem müssen sie um die Anerkennung ihres Fachs kämpfen und für den Erhalt desselbigen.

In der Musikschule oder im Privatunterricht ist das anders. Insbesondere aktive Künstler:innen, aber auch engagierte Pädagog:innen allgemein,  erfahren eine große Wertschätzung von Schüler:innen und  deren Eltern. Jeder, der Schüler:innen über einen langen Zeitraum begleitet hat, kann das bestätigen. Im Einzelunterricht, aber auch in kleinen Gruppen, entsteht eine ganz andere Vertrautheit, als es im Klassenverbund in der Schule möglich ist. Man begibt sich auf eine gemeinsame Reise – die musikalische Ausbildung. Gemeinsam gehen Schüler:innen mit  ihren Lehrkräften durch leichte und schwere Zeiten und das verbindet. Wenn die Ausbildung dann abgeschlossen ist, blickt man zurück und freut sich gemeinsam über die enorme  Entwicklung, die zu sehen ist. Das ist natürlich nicht immer so, manche Schüler:innen brechen ab oder Lehrkräfte wechseln an andere Orte. Es gibt herausfordernde Schüler:innen, aber auch Lehrkräfte. Im Großen und Ganzen ist der Einzelunterricht oder auch die Ensemblearbeit jedoch eine sehr privilegierte Art zu arbeiten. Wenn dann noch die Rahmenbedingungen stimmen, kann man schon von einem Traumjob sprechen.

PM: Du hast ein sehr lebendiges Bild vom Berufsalltag in der Musikpädagogik gezeichnet – mit all seinen Herausforderungen, aber auch mit der besonderen Nähe zu den Schüler:innen. Was sind abschließend Deine Ziele für die Zukunft? Möchtest Du vielleicht unseren Leser:innen etwas mit auf den Weg geben?

MB: Kurzfristig ist mein Ziel, die Rahmenbedingungen für Musikpädagog:innen zu erhalten und zu verbessern. Außerdem möchte ich meine eigene Musikschule mit meinen beiden Teilhaber:innen weiterentwickeln und zukunftsfest machen. Hier stehen einige Reformen an, die bestimmt Kraft erfordern werden. Ich bin aber auch ein Mensch, der Familie, Beruf und Freizeit als Einheit begreift. Alles findet bei mir immer und oft auch gleichzeitig statt. Insbesondere die Familie darf nicht zu kurz kommen, sonst fehlt das Allerwichtigste in meinem Leben. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich so leben und arbeiten darf.

PM: Du hast deutlich gemacht, wie wichtig dir Balance, Entwicklung und Verantwortung zugleich sind – sowohl für deine Musikschule als auch für Dein persönliches Umfeld. Lieber Martin, wir danken Dir für das sehr interessante Gespräch! Wir wünschen Dir alles Gute sowie viel Erfolg mit allem, was Du noch vorhast! Wir bleiben in Kontakt.MB: Ich danke Euch für die tolle Vorbereitung und für die Zeit, die Ihr mir geschenkt habt. Gern bis zum nächsten Mal!


  1. https://piano.me/blog/pianome-talks-interview-mit-der-konzertpianistin-kledia-stefani/ ↩︎
  2. https://tonkuenstlerverband.de/was-wir-tun/aktuelles/55/pressemitteilung-dualer-weg-bei-ausserschulischer-musikalischer-bildung (zugegriffen am 28.10.2025) ↩︎
  3. https://kunst-kultur.verdi.de/musik/unterrichten/honorarbasis (zugegriffen am 20.06.2025) ↩︎
  4. https://piano.me/blog/pianome-talks-interview-mit-der-konzertpianistin-kledia-stefani/
    ↩︎

Copyright Bild: Martin Behm