Dieses Mal hatten wir das Vergnügen, die Flötistin Saskia Worf für ein Interview zu gewinnen. Im Gespräch beleuchteten wir unter anderem die aktuelle Situation der Musiker:innen im deutschsprachigen Raum. Im Gespräch teilte sie uns mit, welche Bedeutung die Musik in ihrem Leben hat und wofür sie sich mit ihrem Buch starkmacht. Darüber hinaus sprachen wir über ihre aktuellen Projekte sowie viele weitere interessante Aspekte ihres Lebens.
PianoMe (PM): Liebe Saskia, vielen Dank Dir für Deine Zeit! Es ist uns eine große Freude, dass Du zu einem Interview mit PianoMe bereit bist!
Saskia Worf (SW): Vielen Dank für die Einladung! Ich freue mich sehr und bin gespannt auf das Interview.
PM: Das ist toll, danke! Zuerst wollen wir Dich unseren Leser:innen gerne kurz vorstellen, obwohl Dich viele sicherlich bereits kennen: Als freischaffende Flötistin hast Du Dich auf zeitgenössische Musik und Kammermusik spezialisiert. Deine Konzerttätigkeit führte Dich international nach Madrid und Montepulciano sowie in renommierte Veranstaltungsorte wie die Berliner Philharmonie, den Resonanzraum Hamburg und die Kölner Philharmonie. Außerdem blickst Du auf 15 Jahre pädagogische Erfahrung zurück. Seit 2024 bist Du Dozentin am Music Career Center der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf. Zeit für exzentrische Allüren hast Du aber trotzdem nicht, denn auch außerhalb Deiner künstlerischen Tätigkeit setzt Du Dich, wie mit Deinem Buch „Was machen Sie eigentlich beruflich?“, für die Musiker:innen ein.
SW: (lacht) Ja, ich kann manchmal auch nicht glauben, was da schon alles passiert ist und was ich erreicht habe.
PM: Beeindruckend! Magst Du uns zunächst etwas über Deine „Wurzeln“ erzählen?
SW: Sehr gerne. Ich komme aus einem Musikerhaushalt. Mein Vater ist Musiker, Pädagoge und Dirigent und hat vor über 35 Jahren eine private Musikschule gegründet, in der ich aufgewachsen bin. Um mich rum waren viele Instrumente, viel Musik, viel Freude und Leichtigkeit. Ich musste nie, ich durfte und das war wohl der Schlüssel zu vielem, was ich heute mache. Ich habe früh Keyboard, E-Orgel, Klavier und Schlagzeug bei ihm gelernt und dann kam auch sehr früh schon die Querflöte dazu. Erst viele Jahre später lernte ich den Begriff der Multi-Instrumentalistin kennen und dass ich damit nicht allein bin, denn natürlich habe ich oft von außen gehört: „Was kannst du denn nicht?“ oder „Mach doch mal eine Sache richtig!“. Allerdings hatte ich einfach einen musikalischen Spielplatz zu Hause und einen sehr guten Pädagogen als Vater. Die Instrumente waren zu Hause mein Safe Space, an den ich mich zurückgezogen habe, wenn mir alles zu viel wurde. Dort habe ich Emotionen verarbeitet, Stress abgebaut und meiner Kreativität Ausdruck verliehen. Ich habe früh angefangen zu arrangieren und zu komponieren und wurde auch darin immer unterstützt. Ich bin sehr dankbar für diesen Start in die Musikwelt und die Leichtigkeit, die ich damals kennenlernen durfte. Die hatte ich zeitweise verloren, aber dazu kommen wir vielleicht später noch…
PM: Spannend! Diese vielen Erfahrungen haben Dich sicherlich zu einer vielschichtigen Musikerin geformt. Lass uns aber unser Interview mit den „Anfängen“ Deines musikalischen Weges beginnen. Wie hast Du Dein Instrument ausgewählt? Gibt es ein prägendes Erlebnis?
SW: Also mein heutiges Hauptinstrument Querflöte kam durch die Blasorchester-Tätigkeit meines Vaters in mein Leben. Er leitete zu diesem Zeitpunkt, wie noch heute, mehrere Blasorchester und ich war mit 4 Jahren schon mit bei den Auftritten oder Proben dabei. Meine Eltern erzählen immer, dass ich mir einen Bleistift geschnappt habe und mich zu den Querflöten gesetzt habe. Ich kann mich nur vage erinnern, bin aber der festen Überzeugung, mich hat es damals schon stark zur Querflöte hingezogen und da das ein Instrument war, das mein Vater selbst nicht spielen konnte und ich sehr jung war, musste ich etwas nerven. Er sagte mir dann: „Okay, wenn du aus dieser Glasflasche einen Ton rausbekommst, dann kaufe ich dir eine Querflöte!“. Mein Vater ist ein konsequenter Mensch und wenn er etwas sagt, dann macht er das auch. Ich habe ca. eine Woche später dagestanden und einen Ton nach dem nächsten gepfiffen und bekam dann eine Querflöte mit einem gebogenen Kopf, denn ich war gerade 4 1/2 Jahre und normalerweise ist das zu früh. Ich konnte allerdings schon Noten lesen und es ging eher darum, wie ich diese Noten auf der Flöte spielen kann und nicht um die ganze Theorie drumherum. Also startete ich damit und habe bis heute nicht aufgehört. Die anderen Instrumente waren einfach da und es hat mich auch zu allen hingezogen. Die Querflöte kristallisierte sich dann mit 10-11 zu meinem Hauptinstrument heraus und mit 14 entschied ich, das zu studieren…Ja, und das habe ich ja dann auch gemacht.
Gesellschaftliche Anerkennung einer Künstlerin bzw. eines Künstlers sowie deren Arbeitsbedingungen
PM: Sehr interessant! Im Rahmen unserer Vorbereitung auf das Interview mit Dir sind wir auf Dein Buch aufmerksam geworden. Direkt im ersten Kapitel willst Du „ein paar Dinge klarstellen, die für einige Menschen in diesem Land wohl nicht so selbstverständlich sind“. Kannst Du uns mehr über die Hintergründe dieser Klarstellung erzählen?
SW: Aber natürlich. Dieses Buch ist entstanden, weil ich die Fragen, die wir Musiker:innen oft gestellt bekommen, nicht mehr hören konnte. Weil ich es nicht mehr ertragen habe, dass Menschen nicht wissen, dass wir genauso eine Dienstleistung erbringen, wie ein:e Handwerker:in, ein Restaurant oder ein Blumenladen. Unsere Dienstleistung kann man in der Regel nur nicht anfassen. Musik ist für jeden selbstverständlich, alle hören täglich Musik, im Radio, auf ihrem Smartphone, auf Social Media und YouTube und die wenigsten fragen sich, wie viel Aufwand, Zeit, Energie, Geld und Erfahrung in all diesen Aufnahmen und all diesen Konzerten liegt, die sie dort konsumieren. Selbst Menschen in Konzerten oder Eltern, deren Kinder ich unterrichtet habe, stellten mir die Frage: „Ach, Sie machen das hauptberuflich, wollen Sie keinen richtigen Job machen?“ – und ich hatte das so satt. Die Tausenden Stunden, die ich in meine Expertise gesteckt habe, die Disziplin, den Ehrgeiz, das Durchhaltevermögen, das ich entwickelt habe und viele bzw. alle meine Kolleg:innen ebenso, das wird nicht gesehen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen völlig überrascht waren, wenn ich ihnen ehrlich auf diese Fragen geantwortet habe und ihnen einen Einblick in mein Leben, meinen Alltag, meinen Werdegang gegeben habe, sie hinter die Kulissen habe blicken lassen, was es bedeutet, einen 90-minütigen Soloabend zu spielen, wie viel Energie, Schweiß und manchmal sogar Blut da drinsteckt. Was es bedeutet, 1:1 Menschen zu unterrichten und zu begleiten, dass das eine wertvolle Tätigkeit ist und wir einfach zu wenig darüber sprechen und uns dann wundern, dass es niemand sieht. Es ging mir um Sichtbarkeit und auch um Zahlen und Fakten über die Musikbranche und warum wir tun, was wir tun.
PM: Künstler:in zu sein bedeutet für mich auch Kritiker:in, Satiriker:in und in einem gewissen Maße auch Spiegel einer Gesellschaft zu sein. Kunstschaffende dieser Welt lehren uns, Dinge in einem anderen Licht zu betrachten. Auf der anderen Seite müssen aber viele Künstler:innen unter prekären Arbeitsbedingungen arbeiten. Es kommt sogar häufiger vor, dass viele Künstler:innen einen Nebenjob zum reinen Überleben brauchen. Ich unterstreiche an dieser Stelle „einen Nebenjob“. Heißt das im Umkehrschluss, dass die Gesellschaft den Beruf der Kulturschaffenden nicht wertschätzt? Oder mangelt es in der Tat einfach an der Vorstellung, was hinter diesem Beruf steckt und was man in diesem Beruf leisten muss?
SW: Es mangelt vor allem an finanziellen Mitteln. Kultur sollte kein Klassenthema sein. Wer es sich leisten kann, fein, wer nicht, hat Pech gehabt. Ja, ich erlebe immer wieder Situationen und bekomme von Menschen in meinem Umfeld Geschichten erzählt, in denen sie nicht wertgeschätzt wurden, in Form von zu wenig Honorar oder Gage oder auch in einer herablassenden Art von denen, die uns buchen. Ich erlebe gleichzeitig auch Situationen, wo Menschen das zwar wertschätzen, sich allerdings die Preise nicht (mehr) leisten können. Überall wurde alles teurer, aber in der Musikbranche wurden deswegen nicht plötzlich höhere Honorare gezahlt. Ich kenne sogar genug, die seit 2020 die Branche verlassen haben oder nur noch „nebenbei“ etwas musizieren oder unterrichten und das kann ich voll verstehen. Gleichzeitig ist es in vielen Fällen wirklich eine Unsichtbarkeit all der Dinge – Investitionen, Weiterbildung, Studium –, die nicht gesehen werden. Und sobald ich einen Preis mit einem Veranstalter verhandle und dieser Person aufzähle, was wir in unserem Job, besonders als Selbstständige, alles zu tun und zu bezahlen haben und was wir schon investiert haben – dass sie also auch meine Erfahrung bezahlen und nicht nur meine Zeit vor Ort –, dann fällt vielen alles aus dem Gesicht. Denn eigentlich müsste ich Preise nehmen, die niemand zahlen kann und will. Ein:e Jurist:in oder ein:e Mediziner:in, deren Studienjahre wir meist sogar übertreffen, würde für diese Preise, die in unserer Branche „Usus“ sind, nicht mal den Hörer in die Hand nehmen. Besonders nervig wird es, wenn dann eben die, die es bezahlen könnten, es nicht wollen, weil es ihnen das eben nicht wert ist. Alle anderen, für die sollte Kultur und musikalische Bildung nicht so teuer werden, dass sie es nicht leisten können – Musikschaffende und Lehrkräfte allerdings in der freien Szene von irgendwas leben müssen. Ich spreche hier natürlich nicht von denen, die in einer festen TvöD- oder TVK-Stelle sitzen, sondern von allen anderen – und das sind viele!
PM: Kann es sein, dass Künstler:innen selbst meist prekäre Arbeitsbedingungen einfach hinnehmen und damit verhindern, dass die Kultur ein kritischer Raum für den Diskurs über Arbeit, Armut und Ausbeutung werden kann? Oder haben die Künstler:innen einfach keine Wahl? Erst vor kurzem hatte ich wieder ein Gespräch mit einer Dozentin, die darüber sprach, dass selbst Verträge an der Hochschule jedes Semester erneuert werden.
SW: Ja, wir haben oft nie gelernt zu verhandeln und unser Selbstwert ist oft mit unserer musikalischen Leistung geknüpft, was dazu führt, dass viele das Gefühl haben, machtlos zu sein. Die Arbeitsbedingungen hinzunehmen, führt natürlich nicht zu einer Änderung im System. Ich habe auch oft genug gehört, „ich solle mich glücklich schätzen, überhaupt diesen Job auszuführen oder dieses Honorar zu bekommen“. Das macht natürlich was mit unserer Preisvorstellung. Dazu kommt, dass viele aus dem Studium mit den niedrigen Preisen und Gagen kommen und daran gewöhnt sind, nur sich dann eben die Lebenshaltungskosten erheblich steigern. An Musikhochschulen sowie an Musikschulen, an denen Honorarvereinbarungen geschlossen werden, passieren immer noch wilde Geschichten, wenn man bedenkt, dass diese Systeme ohne die Honorarlehrkräfte und ohne die Lehrbeauftragten nicht funktionieren würden. Das nennt man Ausbeutung, denn diese Institutionen, die ja in der Regel von der Kommune oder dem Land finanziert werden, würden ohne die freien Mitarbeiter:innen zusammenbrechen. Das wissen auch viele, sind allerdings abhängig davon und sprechen darüber nicht öffentlich, sondern nur unter uns Musiker:innen. Alle wissen, dass es schei*e ist, sind dann allerdings nicht in der Position zu sagen: Dann halt nicht. Was das Thema Diskurs angeht: Ja! Kultur ist der perfekte Ort, egal welche Form, um Kritik zu äußern, ins Gespräch zu kommen oder eben sichtbar zu machen, was schiefläuft. Das System ist schon sehr lange so und ich glaube, es ist an der Zeit, verkrustete Strukturen aufzubrechen und kollektive Glaubenssätze zu hinterfragen!
Warum Kultur und Politik sich gegenseitig brauchen
PM: Danke Dir für Deine ehrliche Meinung! Ich weiß, dass viele Kunstschaffenden sich auch politisch in der Hoffnung engagieren, dass sich vieles verändert und bessert. Meinen Gesprächen entnehme ich aber sehr oft, dass sich feste Strukturen und alte Mentalitäten nicht so leicht verändern lassen. Stimmt mein Eindruck?
SW: Absolut. Es greifen hier eben auch patriarchale Strukturen und hier spreche ich nicht nur von der Thematik von Gleichberechtigung von Geschlechtern. Wenn sich das Patriarchat und der Kapitalismus die Hand reichen, entstehen solche Strukturen und die sind nicht erst seit 20 Jahren am Start. Das ist ein System, was tausende Jahre alt ist – und wir sind gerade erst dabei, Dinge zu hinterfragen, die man vorher nie infrage gestellt hat. Ich habe in meinem Buch geschrieben: Frauen wie mich hätte man vor nicht allzu langer Zeit verbrannt – und das hatte damals Gründe, die aus demselben System heraus entstanden sind wie jenem, das in der Gesellschaft und eben auch in der Kulturbranche bis heute hartnäckig anhält. Wie oft ich mit alten weißen Männern und patriarchal geprägten Frauen schon über diese Themen gesprochen habe und gesagt wurde: „Das ist eben so, da mussten wir auch alle durch.“ Dadurch verändert sich natürlich nichts. Ich triggere gerne solche alten Glaubenssätze und hinterfrage sie in meinem Podcast und auf Social Media und wie das eben so ist, es gibt genug Menschen, für die bin ich das Problem, weil ich das Problem anspreche. So tief sitzt das. Ich selbst bin im Vorstand des PRO MUSIK Verbandes seit 2022 und man kann einiges bewegen, wenn wir zusammenhalten und es nicht über uns ergehen lassen. Die Strukturen machen ja auch gerade viel Lärm beim Sterben, denn es bäumt sich nochmal das auf, was Patriarchat im Grunde ausmacht: Ausbeutung. Das zeigt sich an vielen Stellen. Ich glaube, wir können das verändern, nur kann ich das nicht allein!
PM: Kann die aktuelle Entwicklung bedeuten, dass es auf lange Sicht keinen Nachwuchs mehr geben wird? Von einigen jungen Musiker:innen höre ich zum Beispiel manchmal, dass sich diese aus Sorge vor der eigenen Zukunft für finanziell sichere Berufe entscheiden, auch wenn die Begabung und der Wunsch vorhanden sind, dem Beruf des Musikers bzw. der Musikerin nachzugehen. Wie nimmst Du diese Entwicklung wahr?
SW: Ich verstehe jeden jungen Menschen, der sich nicht in ein System begeben möchte, in dem er einmal durch den Reißwolf gedreht wird, um danach in prekären Arbeitsbedingungen zu landen. Dank Social Media und der Möglichkeit, sich zu informieren und mehr Sichtbarkeit für die Strukturen zu schaffen, gibt es immer mehr, die das studieren und schon wissen, dass sie es nicht Vollzeit machen wollen (oder können). Ich erlebe gleichzeitig in meiner Tätigkeit an der Robert Schumann Hochschule auch viele junge Menschen, die durch unser Music Career Center nun die Informationen bekommen, um sich vorzubereiten auf das, was in der Szene auf sie zukommt. Dann können sie eine bewusste Entscheidung treffen: Will ich das oder nicht? Für viele aus meiner Generation – und ich bin 1994 geboren – war es ein Sprung ins kalte Wasser, wie schon für viele Generationen vor uns. Und da Musikhochschulen in vielen Bereichen immer noch für einen Markt der 80er-Jahre ausbilden, überrascht es mich nicht, dass sich junge Menschen dagegen entscheiden. Wenn ich mir aber anschaue, wie viele junge Menschen sich immer noch an Musikhochschulen bewerben, würde ich jetzt nicht von einem Nachwuchskräftemangel sprechen, zumal ich ja genug extrem gut ausgebildete Musiker:innen und Musikpädagog:innen aus meinem Alter und älter kenne, die auch nicht mehr in der Branche arbeiten aus oben genannten Gründen. Ist nicht so, als hätten wir keine Leute, sondern die Arbeitsbedingungen in der freien Szene sind schlicht unterirdisch und wenn wir uns die Zahlen der KSK anschauen, was Musiker:innen und Lehrkräfte durchschnittlich verdienen, möchte ich jedes Mal weinen! Natürlich suchen sich dann junge Menschen einen Beruf, der ihnen mehr finanzielle Sicherheit bietet. Auch hier können wir das von der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung nicht entkoppeln, denn um heute eine Familie zu ernähren, reicht halt nicht mehr ein Gehalt und schon gar keine Dumping-Honorare aus unserer Branche.
PM: Bereits im Jahre 2017 meinte der damalige Generalsekretär des Deutschen Musikrates, Herr Christian Höppner, dass Musik vor allem in der Grundschule zu wenig stattfindet.[1] Dabei setzt sich der Bundesverband Musikunterricht bereits seit 2014 für ein umfassendes Gesamtkonzept musikalischer Bildung ein. „Agenda 2030“ hieß die Initiative, die sich deutschlandweit der Verbesserung des schulischen Musikunterrichts verschrieben hat. Nun sind wir im Jahre 2025 und die musikalische Bildung ist sehr stark erodiert. Woran lag das? Wurden die Stimmen der Kulturschaffenden über all die Jahre einfach nicht gehört?
SW: Zum einen das, zum anderen brauchen wir uns ja nur anschauen, wofür alles Geld da ist. Der Lehrkräftemangel ist ja nicht nur im Musikbereich ein Problem, was viele seit 20 (!) Jahren ansprechen. Ich selbst habe ein Jahr lang im Schuldienst gearbeitet, allerdings an einer Realschule und als Vertretungslehrkraft. Ich kann so viel sagen: Ich weiß, warum den Job keiner mehr machen will. Über das Schulsystem zu sprechen, sprengt hier jetzt das Interview, allerdings dürfen wir uns auch bei dieser Thematik die Frage stellen: Warum ist das so? Warum wandern auch dort Menschen ab, die das Studium absolviert haben? Warum gehen ausgebildete Lehramtsstudierende im Bereich Musik dann nicht in die Schule, in den sicheren Job? Weil es strukturell so hart ist und einen krank macht. Da wären wir übrigens wieder bei dem Begriff der Ausbeutung. Es sollen immer weniger Lehrkräfte noch mehr Aufgaben stemmen. Alle Kolleg:innen, mit denen ich spreche, die über ihre Musikschule in Kindergärten, Grundschulen und weiterführende Schulen geschickt werden, um zumindest noch den nicht vorhandenen Musikunterricht in Projekten wie JeKits und Singpausen aufzufangen, melden mir zurück, wie hart diese Arbeit ist und wie wenig sie wertgeschätzt wird – gerade, wenn es sich wieder um Honorarlehrkräfte handelt, die das dann rocken sollen. Ich kenne natürlich auch Menschen, die diesen Beruf mit Herzblut machen und es lieben, doch auch die kommen regelmäßig an ihre Belastungsgrenze. An der Stelle sind wir nicht nur zu wenige, sondern die Strukturen in der Schule sind nicht gegeben, die entspanntes Musizieren und offenes Lernen ermöglichen. Ich musste junge Menschen in Musik benoten und dachte mir so: Warum? Und wie? Mit blanker Wissensabfrage? Dann sind wir doch wieder nicht beim Musizieren und gemeinsam Experimentieren. Ich glaube, da wurde von den politischen Entscheider:innen sehr lange nicht hingehört und wenn man sich die Inhalte von Bob Blume anhört, sieht das auch nicht danach aus, als würden sie jetzt wirklich zuhören und etwas verändern wollen.
Die aktuelle Rolle der Lehrerin bzw. des Lehrers in der musikalischen Ausbildung
PM: Wie siehst Du die aktuelle Rolle des Lehrers bzw. der Lehrerin in der musikalischen Ausbildung?
SW: Ich liebe diesen Beruf. Es ist für mich eine Berufung, Menschen Wissen zu vermitteln, sie zu inspirieren, zu begleiten und zu motivieren. Ich erlebe im Austausch mit meinen Schüler:innen und auch ehemaligen Schüler:innen, wie wertvoll diese Zeit für sie ist und war. Wie persönlichkeitsbildend und wie viel sie fürs Leben gelernt haben, neben dem musikalischen Aspekt. Wie wichtig vor allem der 1:1- und Kleingruppenunterricht ist und war. Ich glaube, diese Rolle war schon immer und ist heute mehr denn je eine unglaublich wertvolle Aufgabe. Es geht ja um so viel mehr als um musikalische Bildung. Es geht um Kreativität, um Verbundenheit und Verbindungen schaffen, Räume kreieren, in dem sich Menschen ausprobieren können und sich besser kennenlernen. Wenn ich mit erwachsenen Schüler:innen arbeite, ist es auch immer etwas „Therapie“ für sie, mit mir zu arbeiten und da bin ich sicher nicht alleine mit. Musik kann dabei helfen, Emotionen zu verarbeiten oder auszudrücken, zu heilen und sich selbst besser zu fühlen und zu verstehen. Für all das bin ich gerne Begleiterin und glaube, dass dieser Beruf völlig unterschätzt wird.
PM: Du hast Dich ja u.a. auf die zeitgenössische Musik spezialisiert. Was ist Deiner Meinung nach die Rolle der zeitgenössischen Komponist:innen im modernen Klassikbetrieb? Muss man diese Rolle verbessern und falls ja, wo müsste man dann ansetzen?
SW: Ja, ich liebe es, mir ein Stück anzueignen, was noch niemand oder noch nicht so viele Menschen erarbeitet haben. Die Querflöte ist klangtechnisch da sehr gut aufgestellt, wir sind vielschichtig einsetzbar und ich mag einfach die Herausforderung, die die zeitgenössische Musik mit sich bringt. Im Klassikbetrieb braucht es da auf jeden Fall Musikvermittlung/Konzertvermittlung. Menschen auf ein Werk oder eine Uraufführung vorzubereiten, sie mitzunehmen und ihnen Bilder oder Geschichten mit an die Hand zu geben, damit sie sich darauf einlassen können. Die Rolle von Komponist:innen und auch Interpret:innen ist es meiner Ansicht nach, aktuelle, politische und gesellschaftliche Themen hörbar und sichtbar zu machen und Debatten anzustoßen.
PM: Spannend! Ich denke, das ist jetzt dann genau der richtige Zeitpunkt, um über Deine pädagogischen Aktivitäten zu sprechen. Wie hast Du Deine eigene Ausbildung erlebt? Was nimmst Du davon für Dein Unterrichten mit? Was ist für Dich im Musikunterricht zentral?
SW: Meine eigene Ausbildung war, wie bereits berichtet, sehr vielschichtig und ich zehre als Pädagogin und Musikerin sehr davon, mehrere Instrumente zu spielen und zu unterrichten. Meine Ausbildung war bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich entschied, das beruflich zu machen, voller Leichtigkeit und Freude und auch Kreativität. Das hat sich leider dann nach und nach verabschiedet und ich bin in ein Leistungshamsterrad gefallen. Darüber spreche ich auch viel in meinem Podcast Managemusik, denn damit bin ich ja nicht alleine. Die Freude und Leidenschaft einzutauschen gegen Hochleistungssport auf dem Instrument war im Nachgang sehr frustrierend, denn ich habe zeitweise in meinem Musikstudium mein Warum vergessen. Ich hatte viele verschiedene Lehrkräfte, von denen ich unglaublich viel gelernt habe und diese Menschen haben auch meinen Unterricht heute sehr geprägt, sowohl Methodenvielfalt und lösungsorientiertes Denken als auch tiefgreifendes Fachwissen und eigene Erfahrung. Für mich sind heute drei Werte im Unterricht von großer Bedeutung: Respekt, Kreativität und Vertrauen. Mir ist es wichtig, dass meine Schüler:innen einen sicheren Raum bei mir vorfinden, einen fehlerfreundlichen Raum und unsere Beziehung auf Vertrauen basiert, sie sich öffnen können und sich von mir gesehen, gehört und ernst genommen fühlen. Ich respektiere Menschen, egal wie alt sie sind, egal mit was sie kommen. Mir ist es wichtig, dass sie ihre Bedürfnisse wahrnehmen und kommunizieren können, ohne Angst vor Ablehnung oder Verurteilung. Ich bin ein sehr kreativer Mensch und kreiere auch gerne meinen Schüler:innen Neues und arbeite lösungsorientiert. Das sind für mich die wichtigsten Punkte und alles andere, fachliche, pädagogische, methodische und didaktische kommt dann von selbst.
Meine künstlerische Tätigkeit sowie Ziele für die Zukunft
PM: Sehr interessant! Lass uns bitte nun kurz über Deine künstlerische Tätigkeit sprechen. Was beeinflusst Dich in Deiner künstlerischen Tätigkeit?
SW: Ich lasse mich gerne inspirieren und inspiriere gerne, bedeutet: Mich kann so ziemlich alles zu einer Idee, einer Interpretation oder einer Geschichte inspirieren, die ich erzählen möchte – musikalisch oder auch in Textform. Das Leben inspiriert mich, Alltagsgespräche, Social Media, meine Schüler:innen, mein Publikum. Mir ist es wichtig, dass Menschen aus meinem Konzert rausgehen und fühlen konnten, was es zu fühlen gibt, sich auf eine Fantasiereise begeben konnten, ich sie berühren konnte, ich sie zum Nachdenken anregen konnte. All das habe ich Hinterkopf, wenn ich ein Programm strukturiere, ein Ensemble leite oder als Solistin und Kammermusikerin auf der Bühne stehe.
PM: Hat Deine vielschichtige musikalische Erfahrung dazu beigetragen, dass Du mit der Zeit ein eigenes musikalisches Gespür entwickelt hast? Welchen Einfluss hat das auf Deine Flötenspieltechnik und was bedeutet das „Musizieren“ für Dich persönlich?
SW: Auf jeden Fall! Es ist ja nicht nur ein Gespür für Musik, die richtige Stückwahl oder wie ich eine Phrase gestalte, sondern es geht immer um Emotionen und um Energie. Dafür habe ich ein sehr sensibles Gespür, hatte ich schon immer und das kommt mir auf der Bühne, beim Unterrichten oder beim Workshop halten zugute. Auf meine Spieltechnik auf der Flöte wirkt sich das mittlerweile so aus, dass mir bewusst ist, wie ich mit meinem Atem anderen den Atem rauben kann – im positivsten Sinne. Mir ist bewusst, wie ich Menschen in ihrem Herzen berühren kann, denn ich weiß, wie sehr der Flötenklang unter die Haut gehen kann. Musizieren bedeutet für mich Ausdruck von Emotion, Inspiration und ist für mich magisch. Es ist Magie, was wir Musiker:innen auf Bühnen kreieren und ich bin unglaublich dankbar, das machen zu können und damit etwas zu verändern.
PM: Sehr interessant! Die nächste Frage kann ich mir leider nicht ersparen (lacht). Was hältst Du generell von unserem PianoMe-Projekt?
SW: I Love it!! Ich habe ja selbst Klavier studiert und weiß, wie schwer es ist, wenn man einen Proberaum oder Übungsraum sucht, weil man zu Hause nicht nur am E-Piano spielen möchte – gerade wenn man in einer Mietwohnung lebt. Ich finde das Konzept großartig und Euren Blog kannte ich bis vor kurzem auch noch nicht und fand ich mega interessant! Danke für Eure wertvolle Arbeit!
PM: Danke Dir! Was sind abschließend Deine Ziele für die Zukunft? Möchtest Du vielleicht unseren Leser:innen was mit auf den Weg geben?
SW: Ich habe viele Ziele und eine sehr große Vision und die teile ich auch gerne mit euch. Ich habe mir ein Online-Business aufgebaut – zum einen, weil ich vielen Menschen mit meinem Wissen und meiner Energie helfen kann und will, zum anderen, weil ich finanzielle Ressourcen schaffen möchte, mit denen ich künstlerische und pädagogische Projekte umsetzen kann, ohne auf Förderungen angewiesen zu sein. Die Töpfe werden ja bundesweit gerade nicht größer und ich möchte unabhängig davon sein. Das ist bereits mein Plan seit 5 Jahren und er ist glasklar in meinem Kopf. Ich möchte Projekte spielen, die ich selbst organisiere, mit Menschen, die ich richtig gut und nicht nur „okay“ bezahlen kann, mit Wirkung und mit einer Message. Unternehmerisches Denken gehört in die Köpfe und Herzen der Musiker:innen und Lehrkräfte! Es ist so wichtig, sich neben all dem Üben und dem Proben und dem Unterrichten damit zu befassen, wie man sich als Unternehmer:in sehen kann und nicht ausschließlich als Künstler:in. Ich möchte in einer Musikbranche arbeiten, in der Honorare gezahlt werden, von denen wir leben können und ich fange gerne damit an, um zu zeigen, dass das geht! Ich will keine Ausbeutung, sondern gemeinsames Gestalten, Verbindung schaffen und Sichtbarkeit für unsere Themen und Probleme. Was ich den Leser:innen mitgeben möchte: Sprecht über euren Alltag als Künstler:innen und Lehrkräfte! Sprecht darüber, wie euer Weg war, teilt das mit Menschen, die das nicht eh schon kennen. Macht es sichtbar! Ich habe mittlerweile über 200 Podcastfolgen aufgenommen auf meinem Podcast Managemusik, in dem ich so viel sichtbar mache und Menschen interviewt habe und deren Alltag sichtbar gemacht habe. Wenn das noch mehr machen und wir laut werden, dann werden wir auch gehört mit unseren Themen und strukturellen Baustellen. Seid laut! Danke euch!
PM: Liebe Saskia, wir danken Dir für das sehr interessante Gespräch! Wir wünschen Dir alles Gute sowie viel Erfolg mit allem, was Du noch vorhast! Besten Dank Dir auch noch einmal für Deinen persönlichen Einsatz für die Musiker:innen. Wir bleiben in Kontakt.
SW: Ich danke nochmal herzlich für die Einladung und die tollen Fragen. Es war ein sehr gutes Gespräch und ich gehe jetzt inspiriert raus!
[1] www.deutschlandfunk.de/musikunterricht-in-der-schule-ausverkauf-musikalischer-100.html (letzter Abruf: 28. November 2024)
Copyright Foto: @Simon Zimbardo