PianoMe Talks: Interview mit der Konzertpianistin SoRyang

Interview mit SoRyang

Dieses Mal hatten wir das Vergnügen, die Konzertpianistin SoRyang für ein Interview zu gewinnen. Im Gespräch beleuchteten wir unter anderem die aktuelle Situation der neuen Pianist:innen-Generation im deutschsprachigen Raum. Darüber hinaus sprachen wir über ihre aktuellen Projekte und darüber, was „Musizieren“ für sie persönlich bedeutet.


PianoMe (PM): Liebe SoRyang, vielen Dank Dir für Deine Zeit! Es ist uns eine große Freude, dass Du zu einem Interview mit PianoMe bereit bist!

SoRyang (SR): Herzlichen Dank für die Einladung zum Gespräch. Ich freue mich, meine Gedanken mit anderen fleißigen Pianist:innen  teilen zu können.

PM: Vorstellen müssen wir Dich unseren Leser:innen nicht mehr. Deine starke Ausdruckskraft und Finesse hast Du bereits bei Deinen Recitals unter anderem in New York, Los Angeles, Dallas, Hongkong, Shanghai, Barcelona, London, Rom, Hamburg, Wien, Salzburg, Dresden und Berlin unter Beweis gestellt. Als bekannte Mozart-Interpretin präsentierst Du regelmäßig Mozart-Klavierwerke, unter anderem im Schloss Mirabell in Salzburg, im Mozarthaus Vienna und in der Peterskirche in Wien. Im Segment Kammermusik bist Du bereits mehrfach europaweit mit Mitgliedern der Wiener Philharmoniker aufgetreten. Die NRZ hat Dich einmal als „… Romantik mit etwas asiatischer Innerlichkeit“ beschrieben. Auch einigen weiteren Medienberichten konnten wir viel Lob für Dich entnehmen. Das spricht doch für sich…

SR (lacht): Gute Kritiken sind stets aufbauend. Besonders bedeutend war für mich, als mein Professor Detlef Kraus zu Beginn meines Studiums nach einem Auftritt an der FOLKWANG Universität in Essen in einer Runde bemerkte, dass ich eines Tages eine große Pianistin sein werde. Auch während meines Studiums in Wien kam es nach einem Klassenabend ganz unerwartet, dass Friedrich Gulda, der zufällig mein Spiel gehört hatte, zu mir trat und mir mit einem „Bravissimo“ die Hand küsste. Seither habe ich die ganze Zeit an mich glauben können.

Ich habe die Ehre, in Wien als Mozart-Interpretin die Werke präsentieren zu können. Jedoch ist meine Stärke, dass ich wandelbare Eigenschaften habe und deshalb genauso gut romantische Musik interpretiere wie den Stil der Wiener Klassik.

Meine „asiatische Innerlichkeit“ habe ich wahrscheinlich von meinem Vater, der ein Philosophieprofessor war. Er sagte mir, dass man immer den Ursprung einer Sache im Hinterkopf haben sollte, wie etwa die Frage, warum Musik überhaupt entstanden ist. Sie wurde erschaffen, um Freude gemeinsam zu teilen, und nicht, damit die Künstler für ihre Fähigkeiten bewundert werden, was heutzutage oft der Fall ist.

PM: Sehr interessant! Magst Du uns zunächst etwas über Deine „Wurzeln“ erzählen? Ich weiß zum Beispiel, dass Deine musikalische Reise bereits sehr früh begonnen hat.

SR: Korea ist ein Land, wo sehr viel Rivalität herrscht. Du musst Dich immer bemühen, besser als andere zu sein. Denn sonst kommst du, bei der hohen Einwohnerzahl in einem kleinen Land, schwer weiter. Schon als Kind hast Du enormen Druck, die Eltern stolz zu machen, weil sie wieder mit anderen Eltern konkurrieren. Daher steht bei Musik die Perfektion im Vordergrund, weil sie messbar ist. Als Kind spielte ich immer sehr gern Klavier, weil die Musik mich glücklich machte. Viele Preise aber habe ich für meine Eltern gewonnen.

Was Musik wirklich bedeutet, begriff ich erst in Deutschland. Zuerst lernte ich die Sprache der deutschen Musik und dass man in Europa individuell sein darf. So entstand mein neues Ich-Gefühl. Und plötzlich hatte ich das Bedürfnis, es durch die Musik auszudrücken.

PM: Spannend! Mit 16 Jahren bist Du von Korea nach Essen, die Heimatstadt von PianoMe, gekommen, um zu studieren. Anschließend ging es für Dich zum Magisterstudium nach Wien. Wo siehst Du die größten kulturellen Unterschiede?

SR: Die Unterschiede zwischen einem deutschen und österreichischen Studium liegen darin, dass ich in Wien endlich das Leben lernte. Bis dahin war das Studium mein einziges Leben. Aber in Wien gab es schon viele Ablenkungen. Ich freundete mich schnell mit einigen jungen Nachbarn an, organisierte regelmäßig Hauskonzerte mit Palatschinken und ging spazieren, um die wunderschöne Stadt zu genießen. Es gibt so viele schöne alte Kaffeehäuser, historische Kinos, Heurige und vieles mehr. Alle Gefühle, die in der Musik enthalten sind, kommen ja vom Leben. Es musste auch gelernt sein (lacht).

PM: Du reist für Deine Konzerte um die ganze Welt. Wie stark verbindet Musik die Welt und wie empfindest Du die kulturellen Unterschiede in der Rezeption von klassischer Musik?

SR: Bis jetzt habe ich keinen Unterschied bemerkt, denn die Emotionen der Menschen sind überall gleich. Jedes Mal versuche ich, das Herz des Publikums zu berühren. Als ich eines Tages jemanden sagen hörte, dass er von klassischer Musik keine Ahnung hätte, aber nach meinem Konzert nachts nicht schlafen konnte, war das ein sehr wertvolles Lob für mich.

PM: Deine vielen Erfahrungen haben Dich sicherlich zu einer vielseitigen Musikerin geformt. Welchen Einfluss hat das auf Deine Klavierspieltechnik und was bedeutet das „Musizieren“ für Dich persönlich?

SR: In meiner sehr schwierigen Lebenskrise entschied ich mich, anstatt Klavierunterricht zu geben, Straßenkonzerte zu veranstalten. Das Problem, ein echtes Klavier auf die Straße zu stellen, schien unlösbar. Aber ich bekam dennoch eine Idee und plötzlich war es machbar. Kurz danach fing man auf der ganzen Welt an, mit meiner Lösung auch auf der Straße klassische Musik zu spielen. Aber niemand spielt so regelmäßig, wie ich es tat. Weil es auch nicht leicht ist. Man braucht einen starken Anschlag, damit die Töne wirklich weit getragen werden.

Ich konnte so viele Menschen damit überraschen, ihnen eine Freude machen und zeigen, dass klassische Musik gar nicht langweilig ist, wie viele behaupten. Besonders die Kinder standen sehr aufmerksam dabei und wollten meinen Platz nicht verlassen. So lernte ich, was Musik für die Menschen bedeutet.

PM: Im Rahmen unserer Vorbereitung zum Interview mit Dir sind wir auf das folgende Zitat über Dich aufmerksam geworden: „Die Ausführung war äußerst nuancenreich und so lebendig, dass auch Hörer, die nicht zu den eingefleischten Mozart-Enthusiasten gehören, an dieser Interpretation ihre Freude hatten.“ Eine interessante Aussage! Was bedeutet in diesem Zusammenhang die künstlerische Identität und welche Rolle spielt diese für die Karriere bei Konzertpianist:innen?

SR: Beim Vorspiel bin ich voll und ganz dem Publikum gewidmet. Ich bin wie ein Zünder, der die Emotionen des Publikums entfacht. Da gibt’s keine Souveränität, keine Selbstdarstellung, sondern eine Vereinigung mit dem Publikum. Das ist die wahre Freude des Spiels.

Interview mit SoRyang

PM: In einem unserer Interviews mit einer promovierten Konzertpianistin und Buchautorin haben wir über das Thema „Selbstbewusstsein“ gesprochen. Findest Du nicht, dass ausgerechnet mangelndes Selbstbewusstsein bei vielen jungen Musiker:innen aktuell einen großen Mangel darstellt? Nicht, weil die es nicht wollen oder nicht über diese Charaktereigenschaft verfügen würden. Eher deshalb, weil die aktuelle „Umwelt“ dies ggf. gar nicht zulässt: Permanenter Stress, schwierige Arbeitsbedingungen, stetiger Durchsetzungskampf, Berufsdruck, nicht zuletzt aber auch die anhaltende Wirkung der Corona-Pandemie. Irre ich mich?

SR: Ich finde allgemein, ob bei jung oder alt, nur selten selbstbewusste Menschen. Oder irre ich mich?

Musiker:innen sind besonders diszipliniert und zielstrebig. Gerade, weil sie wissen, was sie erreichen wollen und darum kämpfen, lernen sie Schritt für Schritt sich selbst kennen. Klar, junge Menschen sind noch schüchtern oder unsicher, aber wer mutig kämpft, hat schon viel an Selbstwertgefühl gewonnen.

Zweifel sind auch notwendig. Ohne sie kommen wir nicht weiter. Wenn jemand sich nicht der Herausforderung stellt, wie soll er kennenlernen, wozu er fähig ist? Ich kann es selbst nicht fassen, von den Straßenkonzerten plötzlich bald in die großen Konzertsäle zu kommen. Es verschaffte mir schon ein ziemliches Selbstvertrauen.

In der Pandemiezeit haben alle Musiker:innen, so wie ich, unter finanziellen Verlusten gelitten. Sonst im Leben gab es wenig Unterschiede, denn wir müssen in der normalen Zeit genauso zu Hause bleiben, um zu üben.

PM: Es heißt ja immer wieder, dass viele Künstler:innen aktuell unter prekären Arbeitsbedingungen arbeiten müssen. Es kommt sogar häufiger vor, dass viele Künstler:innen einen Nebenjob, unter anderem als Musiker:in, zum reinen Überleben brauchen. Dies betrifft insbesondere junge oder noch nicht gestandene Künstler:innen. Teils Du diese Meinung?

SR: Ja, Pianist:innen besonders. Weil sie nicht mal in einem Orchester untergebracht werden können. Ich bin jeden Tag sehr dankbar, als Konzertpianistin existieren zu dürfen. Früher war ich oftmals froh, aber gleichzeitig verärgert, wenn ich ein Angebot zum Spielen bekam, aber ohne Honorar, weil es angeblich eine gute Promotion sein soll. So viele Menschen verstehen nicht, wie viele Mühe Pianist:innen darin investieren. Junge Student:innen oder Musiker:innen sollten immer honoriert werden. Es geht gar nicht, dass ein:e Installateur:in bezahlt werden muss, aber die Musiker:innen nicht?

PM: Danke Dir für Deine Meinung! Wie siehst Du die aktuelle Rolle des Lehrers bzw. der Lehrerin in der musikalischen Ausbildung?

SR: Wünschenswert wäre, die spezielle Eigenschaft der einzelnen Schüler:innen zu erkennen und sie darin zu stärken. Vor allem immer ihr Interesse am Weiterkommen als Begleiter:in zu zeigen.

PM: Was würdest Du den jungen Talenten der neuen Generation besonders raten?

SR: Ich habe Sorge, dass die Romantik mit der Zeit verschwindet. Talent ist nicht nur physikalisches Können, sondern die Gabe, die allein nur die Menschen besitzen: Das Gehirn und Emotion. Wenn jemand die Fähigkeiten in sich spürt, in dieser Zeit der Schnelllebigkeit, sollte er oder sie sie mit Liebe pflegen. Beethoven sagte, dass Musik höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie sei.

PM: Danke Dir! Was beeinflusst Dich in Deiner künstlerischen Tätigkeit?

SR: Einige Menschen in meiner Umgebung, die eine negative Haltung zum Leben hegen, haben mir nicht gutgetan und somit auch meiner Musikalität geschadet. In Korea gibt es einen Spruch: „Umgebung formt die Menschen“. Jetzt habe ich nur Menschen um mich, die sich gegenseitig schätzen und lieben. Das ist die Nahrung der Kraft. Musiker:innen brauchen sehr viel Energie!!

PM: Als bekannte Mozart-Interpretin präsentierst Du regelmäßig Mozart-Klavierwerke. Ich nehme an, Du hast Dich sicherlich viel mit Mozart auseinandergesetzt. Wer ist er für Dich? Kommt man bei Mozart Deiner Meinung nach irgendwann an einen Punkt, an dem man ihn durchschaut und verstanden hat?

SR: Ja, Mozarts ewige Jugend ist der Schlüssel seiner Musik. Auch wenn er 80 Jahre alt geworden wäre, hätte er die Freude nie verloren. Und ich bin darauf gekommen, dass seine Musik ziemlich verführerisch erotisch ist.

PM: Soweit ich weiß, komponierst Du auch selbst. Wie definierst Du Deinen Kompositionsstil?

SR: Komponieren war nur eine kurzzeitige Geschichte. Weil ich zur VIENNALE eingeladen wurde, um dort zwei Stummfilme zu begleiten. Es hatte mich sehr interessiert und machte es erfolgreich. Es waren dramatische Emotionen. Aber die Arbeit forderte viel Zeit. Wieder zitiere ich einen koreanischen Spruch: „Besser einen Brunnen tiefer zu graben als viele seichte“. So konzentriere ich mich aufs immer schönere Klavierspiel.

PM: Was sind abschließend Deine Ziele für die Zukunft? Möchtest Du Deine Pläne mit unseren Leser:innen teilen?

SR: Mein Leben hatte nie einen Plan. Es lief immer mit Spontanität. Ich sehe nicht so aus, aber bin eine ziemlich tollkühne Person (lacht). Zuletzt verließ ich meine Agentur, weil sie mich unglücklich machte. Seither bin ich glücklich und bis jetzt läuft alles bestens. Und ich habe Vertrauen, dass alles gut werden wird. Was ich für die Zukunft tun kann, ist gewiss, heute mein Bestes in alle Richtungen zu tun.

PM: Liebe SoRyang, wir danken Dir für das sehr interessante Gespräch! Wir wünschen Dir alles Gute sowie viel Erfolg mit allem, was Du noch vorhast! Wir bleiben in Kontakt.

SR: Auch ich bedanke mich, dass Ihr mich eingeladen habt. Jetzt weiß ich, dass PianoMe existiert und bekam gleich eine Idee. Zu meinem Konzert in Leipzig kommt nämlich mein ehemaliger Klavierschüler aus meiner Studienzeit aus Essen. Nach dem Konzert, am nächsten Morgen, werde ich bei PianoMe einen Raum mieten und mit ihm mit vier Händen spielen. PianoMe ermöglicht mir so ein einmaliges Ereignis. Wie wunderbar!


Copyright Titelbild: Kaja Joo

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