PianoMe Talks: Interview mit der Sopranistin Saskia Iris Saegeler

PianoMe Talks: Interview mit der Sopranistin Saskia Iris Saegeler

Dieses Mal hatten wir das Vergnügen, die Sopranistin Saskia Saegeler für ein Interview zu gewinnen. Im Gespräch teilte sie uns mit, welche Bedeutung die Musik in ihrem Leben hat und wofür sie sich mit ihrer Kunst starkmacht. Zudem sprachen wir über ihre öffentliche Petition „Qualifizierter Musikunterricht muss umsatzsteuerfrei bleiben!“ und darüber, warum ihr dieses Anliegen so wichtig ist.


PianoMe (PM): Liebe Saskia, vielen Dank Dir für Deine Zeit! Es ist uns eine große Freude, dass Du zu einem Interview mit PianoMe bereit bist!

Saskia Iris Saegeler (SIS): Sehr gerne! Und vielen lieben Dank für Eure Einladung!

PM: Das ist toll, danke! Zuerst wollen wir Dich unseren Leser:innen gerne kurz vorstellen, obwohl Dich viele sicherlich bereits kennen: Du trittst regelmäßig als Solistin, im Trio, Ensemble und auch im Chor auf und liebst das Musizieren in kammermusikalischen Besetzungen. Dein Repertoire umfasst ein breites Spektrum von der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert, wobei Deine besondere Hingabe dem Lied- & Konzertrepertoire gilt. Dazu bist Du freiberuflich als Gesangspädagogin, Stimmbildnerin sowie Kinderchorleiterin tätig. Zeit für exzentrische Allüren hast Du aber trotzdem nicht, denn auch außerhalb Deiner künstlerischen Tätigkeit setzt Du Dich, wie aktuell mit Deiner öffentlichen Petition, für musikpolitische Themen ein. 

SIS: (lacht) Das stimmt – allerdings sind momentan ja Sommerferien, also „unterrichtsfreie Zeit“ – und diese Gelegenheit habe ich intuitiv genutzt, um politisch Initiative zu ergreifen. In meinem regulären Alltag, in dem ich vier pädagogische Jobs an unterschiedlichen Orten und meine Tätigkeit als Sängerin jongliere, hätte ich die Zeit hierfür wahrscheinlich nicht aufbringen können!

PM: Beeindruckend! Magst Du uns zunächst etwas über Deine „Wurzeln“ erzählen?

SIS: Gerne. Ich bin in Bad Boll, einem Kurort südöstlich von Stuttgart aufgewachsen – also im ländlichen Raum. Klassische Musik spielte in meinem Elternhaus damals eigentlich überhaupt keine Rolle, allerdings hat meine Mutter viel mit mir gesungen – hauptsächlich Volks- und Kinderlieder, aber auch Oldies. Daran erinnere ich mich sehr gern! Und als kleines Mädchen war ich vom Akkordeonspiel meines Bruders fasziniert. Als ich von Freunden meiner Eltern ein musikalisches Hörspiel über W.A. Mozart zum Geburtstag erhalten habe, war das für mich ein großer AHA-Moment und meine Begeisterung für die Welt klassischer Musik war entfacht! Das war zu Beginn der Grundschulzeit. Es hat eine Weile gebraucht, bis meine Eltern realisiert haben, wie wichtig Musik für mich tatsächlich ist. Dann jedoch haben sie mich ihren Möglichkeiten entsprechend unterstützt, wofür ich sehr dankbar bin. Ich habe musikalische Früherziehung erhalten und als ich neun war, hat meine Großmutter mir das lang ersehnte Klavier gekauft, was mich unfassbar glücklich gemacht hat. Ich habe mich zuerst also hauptsächlich dem Klavier als Instrument gewidmet und für einige Jahre auch der Querflöte. Mit etwa 16 Jahren habe ich dann eine Rotary-Förderung für meine ersten Gesangsstunden nutzen können, die mir meine Eltern glücklicherweise auch weiterhin finanziell ermöglicht haben! Der Unterricht bei Pia Schäfer-Mayer an der Jugendmusikschule, die Singspielprojekte (u.a. Mozarts „Bastien und Bastienne“) und das Singen im dortigen Vokalensemble waren für mich prägend und haben mich letztlich definitiv zum Singen hingeleitet. Allerdings habe ich, aus Respekt vor dem herausfordernden Leben als Musiker:in, nach dem Abitur zuerst andere Wege versucht. Ich habe ein Philosophiestudium begonnen und eine Lehre als Buchhändlerin – aber beides nach kurzer Zeit abgebrochen, die Leidenschaft für die Musik war zu groß!

PM: Spannend! Diese vielen Erfahrungen haben Dich sicherlich zu einer vielschichtigen Musikerin geformt. Es stellt sich mir gerade die Frage, ob sich durch die unglaublich großen gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre, wie z.B. die Pandemie und Kriege sowie die damit verbundene Flucht und Vertreibung, Dein Blick auf die Oper und auf musikalische Werke verändert hat?

SIS: Ich glaube, dass sich gesellschaftspolitische Situationen, Mentalitäten, Zeitphänomene und konkrete Lebensrealitäten schon immer in Musik und in den Künsten allgemein spiegeln; durch sie verarbeitet, vermittelt, kommentiert, transzendiert werden – sowohl bewusst als auch intuitiv. Da sind in vielfältiger Weise die machtvollen Gesten eines gewachsenen Katholizismus, die Reformation, das feinziselierte Leben und Sichartikulieren am Hofe, die Ideen der Aufklärung und das Streben nach Demokratie, nach kultureller Identität sowie Phänomene der Globalisierung, Industrialisierung und Mechanisierung von Lebensprozessen zu finden. Aber auch ganz konkrete politische Begebenheiten, wie der Besuch Präsident Nixons in China oder das furchtbare Geschehen von 9/11. Und genauso nehmen die jüngsten und aktuellsten Geschehnisse Einfluss und prägen die Menschen, die Musik oder andere Kunst schaffen. Mein grundlegender Blick auf Werke hat sich also eigentlich nicht geändert. Ich schaue allerdings noch kritischer auf den gesellschaftlichen Umgang und die Rezeption von Musik und Kunst. Denn seit der Corona-Pandemie wurde mir wieder deutlich und noch klarer, dass diese für mich und viele andere Menschen lebenswichtige Sache doch noch viel zu sehr als Option denn als Notwendigkeit für unsere Gesellschaft gesehen wird. Das halte ich für einen großen Irrtum.

PM: Sehr interessant! Künstler:in zu sein bedeutet für mich auch Kritiker:in, Satiriker:in und in einem gewissen Maße auch Spiegel einer Gesellschaft zu sein. Kunstschaffende dieser Welt lehren uns, Dinge in einem anderen Licht zu betrachten. Das hast Du ja auch angesprochen. Auf der anderen Seite müssen aber viele Künstler:innen unter prekären Arbeitsbedingungen arbeiten. Es kommt sogar häufiger vor, dass viele Künstler:innen einen Nebenjob zum reinen Überleben brauchen. Heißt das im Umkehrschluss, dass diese von der Gesellschaft nicht anerkannt werden? Am Ende hängt ja u.a. das Einkommen von der Höhe der Ticketpreise ab.

SIS: Wenn es denn Ticketpreise gibt. Ich finde, unsere Gesellschaft verhält sich da sehr zwiespältig. Einerseits bin ich überzeugt, dass sehr viele Menschen Musik und Kunst sehr schätzen und genießen! Gleichzeitig denke ich, dass Musik und Kunst viel zu wenig in ihrer vollen Breite und Vielfalt wahrgenommen und unterstützt wird. Es gibt neben staatlichen Einrichtungen (und selbst hier sind die Einkommen teils beschämend niedrig) und Großevents ein unglaublich reichhaltiges und buntes musikalisches Leben, das tatsächlich ums Überleben ringt. Unzählige tolle Musiker:innen, die „auf eigene Faust“ solistisch oder in kleinen Ensembles, Bands etc. aktiv sind und unsere Musiklandschaft wesentlich mitgestalten und bereichern. Leider sind die Honorare für Proben, Muggen und Konzerte in der Realität noch immer weitgehend viel zu niedrig angesetzt und stehen in keinem Verhältnis zum dazugehörigen Zeit-, Organisations- und Vorbereitungsaufwand. Da stimmt der Maßstab nicht. Ich denke oft an das Zitat „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“. Wie viel Arbeit tatsächlich, wird gnadenlos unterschätzt! Auch bei Menschen, die Musik genießen. Der Prozess hinter dem Produkt wird viel zu wenig gesehen, gewürdigt und letztlich nicht ausreichend finanziell honoriert. In Zeiten von Konsum, schneller Verfügbarkeit und superlativen Highlights, die einander nur so jagen, wird diese Situation natürlich krass verstärkt. Wenn man bedenkt, dass studierte Musiker:innen in der Regel eine jahrzehntelange intensive Ausbildung durchlaufen und sich meist ständig fortbilden – also große Investition in ihre Arbeit stecken – sind die Einkommensverhältnisse und Arbeitsbedingungen überwiegend erschreckend. Seit Corona hat sich diese Lage nochmal verschärft, weil auch Veranstalter:innen teils noch immer unter finanziellen Engpässen leiden. Von allem, was ich selbst erlebe oder auch von Kolleg:innen mitbekomme, kann ich sagen, dass die allermeisten Musiker:innen, oft auch trotz Festanstellung, unterschiedliche Jobs jonglieren, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Und Studien zur wirtschaftlichen Lage von Berufsmusiker:innen der KSK und des Deutschen Musikinformationszentrums bestätigen das. Es stellt sich also wirklich die Frage, ob der immaterielle Wert von Musik und Kunst wirklich in vollem Umfang an- bzw. erkannt wird und wann dieser Wert dann konsequenterweise auch materiell beantwortet wird.

PM: Kann es sein, dass Künstler:innen selbst meist prekäre Arbeitsbedingungen einfach hinnehmen und damit verhindern, dass die Kultur ein kritischer Raum für den Diskurs über Arbeit, Armut und Ausbeutung werden kann? Oder haben die Künstler:innen einfach keine Wahl?

SIS: Teilweise haben wir keine Wahl. Man muss ja von irgendwas leben. Ich versuche allerdings je nach Aufwand und Honorierung abzuwägen und mittlerweile, wenn es möglich ist, auf Angebote mit zu geringer Bezahlung zu verzichten. Mein Eindruck ist, dass Musiker:innen zunehmend selbstbewusster (im Rahmen der Möglichkeiten) fairere Bezahlung einfordern! Das finde ich wichtig, denn wer zu günstig spielt/singt/unterrichtet, unterstützt das Preisdumping.

PM: Aktuell wird in der Szene neben der Auswirkung des Herrenberg-Urteils viel über den beabsichtigten Wegfall des Bescheinigungsverfahrenes zur Befreiung von der Umsatzsteuer diskutiert. Die Entscheidung darüber, ob Musikunterricht hochschul-/berufsvorbereitende Bildungsleistung oder lediglich Freizeitbeschäftigung ist, würde ab 2025 nach aktuellem Stand des Regierungsentwurfes zum Jahressteuergesetz 2024 den Finanzämtern obliegen. Dies würde unter anderem bedeuten, dass sich sämtliche freiberuflich Unterrichtende über die Inhalte und Motive ihres Unterrichts rechtfertigen müssten und möglicherweise in vielen Fällen von fachfremden Menschen falsch eingestuft werden würden. Die logische Konsequenz dieser Entwicklung wären meines Erachtens existenzielle Folgen für freiberufliche Musikpädagog:innen, was eine erhebliche Verteuerung von Musikunterricht und musikalischer Früherziehung nach sich ziehen würde. Dadurch wäre der Zugang zu musikalischer (Aus-)Bildung enorm erschwert. Auf Bürokratieaufbau und Wettbewerbsverzerrung komme ich schon gar nicht zu sprechen. Du hast nun eine öffentliche Petition zu diesem Thema gestartet. Wurdest Du vorher von Deinen Kolleg:innen auf das Thema angesprochen? Heißt das, dass Du und Deine Kolleg:innen sich wirklich große Sorgen bezüglich der musikalischen Zukunft in Deutschland machen?

SIS: Ich habe von dem Regierungsentwurf Ende Juli per Expressmail durch den BDG erfahren und mich direkt nach Lesen der Mail über die Seiten des DTKV, des Deutschen Musikrats und des BDFM weiter informiert. Ich war eigentlich gerade unterwegs in den Urlaub nach England und wollte mal „abschalten“. Weil ich die Sache als sehr dringend und die Forderungen als einleuchtend empfunden habe und mir in kürzester Zeit eine ganze Reihe an potenziellen Folgekonsequenzen für meine mögliche Zukunft (denn aktuell wäre ich persönlich nicht selbst betroffen), für die Realität vieler Musikpädagog:innen und schließlich für die Musikkultur, die ich so liebe, durch den Kopf schossen, habe ich direkt einer Bundestagsabgeordneten aus meinem Wahlkreis geschrieben. Im Anschluss an diese Mail habe ich aus einem intuitiven Bedürfnis heraus die Petition gestartet – und erst im Nachhinein den BDG informiert. Ich war sehr froh, dass meine Initiative daraufhin so breite Unterstützung gefunden hat, denn es war eine spontane „Bauchaktion“. Wie groß und weitgreifend die Sorgen meiner Kolleg:innen hinsichtlich der musikalischen Zukunft konkret sind, kann ich nicht genau sagen. Aber von mir selbst und meinem näheren Umfeld weiß ich, dass die Coronazeit und ihre Folgen an Herz und Nieren gingen. Und dass, wenngleich manches Großevent überlebt hat, sich weite Bereiche musikalischen Lebens darüber hinaus noch nicht wieder ganz erholt haben und vieles schwieriger geworden ist. Zusammen mit der großen Unsicherheit und Umstrukturierungsfrage durch das Herrenberg-Urteil und auch die Erneuerungen und Veränderungen, die im „Inneren des Kulturbetriebs“ dringend anstehen und Energie benötigen, habe ich das Gefühl, dass die Menschen, die von und mit Musik leben, aktuell an allen Ecken und Enden herausgefordert sind. Irgendwie schwelt im Hintergrund auch noch die Sache mit A.I., aber das ist nochmal ein Thema für sich. In jedem Fall sind eine drohende Umsatzsteuer und zusätzlicher bürokratischer Aufwand in Auseinandersetzung mit Finanzämtern das Letzte, was wir aktuell brauchen. Wir brauchen mehr Sicherheit, und zwar im Sinne besserer Bezahlung, besserer Arbeitsbedingungen und der 100% Gewährleistung, dass Kulturschaffen und Vermittlung kultureller Bildung keine luxuriöse „Option“ sind.

PM: Danke Dir! Du bringst mich gerade auf den folgenden Gedanken: Kann es sein, dass wir die Kultur in unserem Land auf politischer Ebene aktuell gegebenenfalls „vom falschen Ende“ denken? Wie meine ich das? Ich habe ebenfalls immer mehr das Gefühl, dass die Kultur aktuell von der Politik geradezu als Luxus angesehen wird. Auf der anderen Seite bedeutet eine Musikwirtschaft, um bei der Musik zu bleiben, deutlich mehr als ein erfolgreicher Künstler bzw. Künstlerin, den bzw. die man bei Preisverleihungen ehren kann und welcher bzw. welche große Säle ausverkauft bekommt. Musik ist viel tiefer in unserem Leben verankert, angefangen mit der musikalischen Früherziehung über die Musikschulen bis zu unserem Lebensende. Selbst bei gewissen Krankheiten kann Musik zum Beispiel einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt kognitiver Fähigkeiten leisten. Auf der anderen Seite wird die Arbeit der Musikausbilder:innen sowie die Bedeutung dieser Arbeit nicht anerkannt oder vielleicht stark unterschätzt, wie Du es auch selbst beschreibst. Selbst im Bildungswesen verliert Musikunterricht aktuell sehr schnell an Bedeutung. Zusammenfassend: Die wahre Bedeutung der Musik wird zwar wissenschaftlich, aber auch von der Politik, grundsätzlich anerkannt, dieser wird aber von der Politik kaum eine Bedeutung zugerechnet. Irre ich mich?

SIS: „Vom falschen Ende aus“ – ja, diesen Gedankengang kann ich nachvollziehen.  Also es stimmt: Musik spielt eine große Rolle im Leben sehr vieler Menschen. Vom täglichen Musikhören, über das Erlernen eines Instruments, gemeinsames Musizieren im Verein, in Orchestern, Bands, Singen im Chor und viele mehr. Das beginnt im Mutterleib und endet voraussichtlich mit dem Tod. Meine Großmutter hat, als ich sie vor ihrem Tod das letzte Mal gesehen habe, erzählt, dass sie nun nachts immer einen Männerchor singen höre. Sie konnte auch die Kirchenlieder benennen, die da nachts (in ihrem Ohr) erklangen. Musik hat eine große Kraft und wird deshalb auch therapeutisch eingesetzt. Es gibt eine Vielzahl an namhaften Studien, die positive Transfereffekte des Musizierens belegen, u.a. zur Emotionsregulationsfähigkeit, Sozialverhalten, Spracherwerb, psychisches Wohlbefinden, und viele mehr – auf all diese tollen Effekte kann ich hier leider nicht eingehen, das würde den Interviewrahmen sprengen.  Ich möchte Musik nicht zugunsten außermusikalischer Zwecke funktionalisieren. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass die Investition an der richtigen Stelle viel zusätzlich Positives mit sich bringt. Wir sollten eigentlich alles daransetzen, Musisches und Kreatives intensiv und von früher Kindheit an zu verankern, zu pflegen und zu entwickeln. Insbesondere im digitalen Zeitalter.

Also, es stimmt meiner Wahrnehmung nach, dass zwischen den Erkenntnissen aus der Forschung sowie dem Konsum und Genuss einerseits und dem realen Stellenwert, den man der Musik durch finanzielle Mittel und Förderungen auf der anderen Seite einräumt, ein Gap besteht. Das Potential wird entweder unterschätzt oder geringgeschätzt. Zumindest sind die Zusammenhänge zwischen Erkenntnis und Schlussfolgerung nicht konsequent. Auch an Schulen wird der Musikunterricht immer dünner – auch ein Grund, weshalb die Förderung außerschulischer Bildung so unverzichtbar ist.

PM: Kann die aktuelle Entwicklung bedeuten, dass es auf lange Sicht keinen Nachwuchs mehr geben wird? Von einigen jungen Musiker:innen höre ich zum Beispiel manchmal, dass sich diese aus Sorge vor der eigenen Zukunft für finanziell sichere Berufe entscheiden, auch wenn die Begabung und der Wunsch vorhanden sind, dem Beruf des Musikers bzw. der Musikerin nachzugehen. Darüber haben wir übrigens auch in unserem letzten Interview mit einer Dozentin gesprochen. Von einigen erfahrenen Kolleg:innen habe ich wiederum gehört, dass diese insbesondere seit der Covid-Pandemie den Beruf verlassen haben, als sie gemerkt haben, dass man in Zeiten der  finanziellen Herausforderungen vergessen wurde. Unter anderem auch deswegen wird bereits jetzt überall ein riesiger Musiklehrer:innenmangel beklagt. Wie nimmst Du diese Entwicklung wahr?

SIS: Die Zeiten sind seit Corona definitiv härter geworden. Die große Unsicherheit dieser Zeit hat viele Menschen abgeschreckt. Der Beruf „Musiker:in“ und „Musikpädagog:in“ muss dringend attraktiver werden, wenn die Gesellschaft will, dass die Musikkultur sich stabilisiert und sich weiterhin lebendig entwickelt. Jeder weitere potentielle Einbruch von Angebot oder Nachfrage muss aus meiner Sicht vermieden werden! Im Gegenteil. Wir brauchen eine Stärkung der Musikpädagogik auf allen Ebenen – der Früherziehung, des festverankerten Musikunterrichts in der Schule und der vielfältigen außerschulischen musikalischen Bildung.

PM: Interessant! Meines Wissens wird aktuell in Österreich an einer Studie des Musikwirtschaftssektors gearbeitet. Diese soll zeigen, wie weitreichend die Musik ökonomisch wirkt. Denkst Du nicht, dass eine ähnliche, ggf. auch eine etwas größer angelegte Studie, auch in Deutschland wichtig wäre? Wäre das nicht gut angelegtes Geld?

SIS: Definitiv. Die angesprochene Studie ist überaus spannend. Eine vergleichbare Studie in Deutschland? Ja, ich bin dafür!

PM: In einem unserer Interviews mit einer promovierten Konzertpianistin und Buchautorin haben wir über das Thema „Selbstbewusstsein“ gesprochen. Findest Du nicht, dass ausgerechnet mangelndes Selbstbewusstsein bei vielen jungen Musiker:innen aktuell einen großen Mangel darstellt? Nicht, weil die es nicht wollen oder nicht über diese Charaktereigenschaft verfügen würden. Eher deshalb, weil die aktuelle „Umwelt“ dies ggf. gar nicht zulässt: Permanenter Stress, schwierige Arbeitsbedingungen, stetiger Durchsetzungskampf, Berufsdruck, nicht zuletzt aber auch die anhaltende Wirkung der Corona-Pandemie. Irre ich mich?

SIS: Das Thema Selbstbewusstsein ist komplex und ich kann nicht wirklich beurteilen, inwieweit es jungen Musiker:innen aktuell tatsächlich an Selbstbewusstsein fehlt (im Vergleich zu früher). Stress, schwierige Arbeitsbedingungen, die oft schlechte Bezahlung, stetiger Durchsetzungskampf, die notwendige Selbstvermarktung und der Vergleich in sozialen Netzwerken – das ist ein Faktor, der tatsächlich zu allen bereits vorhandenen Anforderungen hinzugekommen ist! Das alles ist Fakt. Der Bruch im musikalischen Leben während der Corona-Pandemie ist ein absolut wunder Punkt. Im Großen und Ganzen begünstigt die Gesamtheit der Umstände nicht gerade eine vor Selbstbewusstsein strotzende junge Generation. Dennoch. Vielleicht liegen in den Herausforderungen auch Chancen, in den Brüchen nun auch die Möglichkeit zu Veränderung. Denn was ich wahrnehme, ist, dass junge Musiker:innen gerade (vielleicht auch aus Frustration aufgrund der Corona-Situation heraus?) Misstände aktiver wahrnehmen und benennen als noch vor einigen Jahren. Das Maß an Empörung ist voll, nun kommen die Dinge auf den Tisch. Ich glaube, Musiker:innen müssen und wollen aus der Rolle der „Bittstellenden“ heraus – und dies sowohl hinsichtlich des äußeren Systems als auch des noch immer zu hierarchischen inneren Systems. Sie fordern Fairness konkreter und direkter ein. Und ich finde, dafür ist es höchste Zeit.

PM: Wie siehst Du die aktuelle Rolle des Lehrers bzw. der Lehrerin in der musikalischen Ausbildung?

SIS: Ich sehe diese Rolle gerade sehr im Begriff des Wandels. Weg von einer stark übergeordneten Rolle gegenüber Schüler:innen hin zu einer respektvoll und mit allen Kräften unterstützenden, professionell agierenden Rolle. Diese Tendenz halte ich auch für die einzig richtige Entwicklung. Lehrer:innen tragen große Verantwortung, und dieser Verantwortung sowie dem ihnen entgegengebrachten Vertrauen durch die Lernenden sollten sie versuchen, ihren Möglichkeiten entsprechend in bester Weise gerecht zu werden. Der Dienst an der Sache und an den Menschen sollte im Mittelpunkt stehen und das erlebe ich glücklicherweise mittlerweile an sehr vielen tollen Lehrer:innen in meinem Umfeld und an vielen meiner eigenen Lehrer:innen der letzten Jahre. Mit Menschlichkeit, differenzierter Fehlerkultur, Humor und sachlicher Klarheit an der richtigen Stelle kommt man weiter als mit Druck „von oben“. Abhängigkeit hemmt die freie Entwicklung von persönlichen und musischen Fähigkeiten und schafft keine selbstbewussten und ausdruckstarken Musiker:innen. Daher bin ich sehr froh, dass hier ein Wandel stattfindet.

PM: Was beeinflusst Dich in Deiner künstlerischen Tätigkeit?

SIS: Die Umstände. Die Möglichkeiten. Menschen, Orte, Situationen, Gedanken und literarische Texte, die mich inspirieren. Meine Lehrer:innen. Musikerkolleg:innen. Meine eigene Intuition. Die Liebe zur Musik.

PM: Und was bedeutet das Musizieren für Dich persönlich?

SIS: Musik ist für mich ein Grundbedürfnis. Es ist meine Seelennahrung.

PM: Sehr interessant! Was sind abschließend Deine Ziele für die Zukunft? Möchtest Du vielleicht unseren Leser:innen was mit auf den Weg geben?

SIS: Ich bin gerade dabei, meine ganz konkreten Ziele auszuloten. Aber grundsätzlich kann ich ganz einfach sagen: so viel gute Musik wie möglich machen, Konzerte singen, mit anderen Menschen gemeinsam Freude und Inspiration mit und durch Musik erleben, teilen und vermitteln. Und als Mensch im Einklang mit meinen Werten leben.

PM: Liebe Saskia, wir danken Dir für das sehr interessante Gespräch! Wir wünschen Dir alles Gute sowie viel Erfolg mit allem, was Du noch vorhast! Besten Dank Dir auch noch einmal für Deinen persönlichen Einsatz für die Musiker:innen. Wir bleiben in Kontakt.

SIS: Sehr gerne und vielen Dank für Eure Arbeit!


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