Interview mit dem Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten des Freistaats Thüringen, Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, zum Thema „Das Kulturkonzept Thüringens sowie aktuelle Herausforderungen im Thüringer Kulturbereich“
Thüringens Städte können auf eine reiche kulturelle Tradition zurückblicken, die bereits im 18. und 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts legte die Staatliche Bauhaus-Kunstschule in Weimar den Grundstein für die moderne Avantgarde, und Thüringen erlebte eine kulturelle Blütezeit.
Die Musikszene in Thüringen ist lebendig und vielfältig. Zahlreiche musikalische Großevents und Festivals, die weit über die Grenzen des Freistaats hinausstrahlen, prägen das kulturelle Leben. Die Thüringer Bachwochen, das größte Festival für klassische Musik in Thüringen mit über 50 Konzerten pro Jahr, sind nur ein Beispiel für die musikalische Vielfalt.
Obwohl nur wenige Thüringer Bands und Musiker:innen es in die Charts schaffen, ist die Musikszene äußerst aktiv. Egal ob Hip Hop in Eisfeld, Metal in Meiningen oder Hardrock in Nordhausen – überall in Thüringen gibt es engagierte Musiker:innen.
Die Corona-Pandemie hat die Musikwirtschaft in Thüringen beinahe an den Rand des Ruins gebracht, aber die Lage stabilisiert sich allmählich wieder. Die Pandemie hat nicht nur Herausforderungen geschaffen, sondern auch viele Probleme sichtbar gemacht und zu Veränderungen in Thüringen geführt. Im Sommer 2021 starteten im Freistaat immer mehr Kulturfestivals mit Open-Air-Veranstaltungen, einige sogar ohne externe Förderung, wie der Apoldaer „Musiksommer“.
Es gibt auch positive Signale in anderen Bereichen. Thüringens Theater können sich seit kurzem über Planungssicherheit bis 2032 freuen (was leider nicht in allen Bundesländern der Fall ist – Redaktion). Ein weiteres erfreuliches Signal ist das Thüringer Gesetz zur Anerkennung und Förderung der Musik- und Jugendkunstschulen, das grundsätzlich eine gewisse Planungssicherheit für staatlich anerkannte Musik- und Jugendkunstschulen in Thüringen schaffen soll.
Dennoch sind weiterhin Herausforderungen zu bewältigen. Insbesondere junge Künstler:innen, die sich erst dem Publikum präsentieren müssen, um eine Fanbasis aufzubauen, haben es schwer. Veranstaltende und Musikschulen in Thüringen stehen vor wachsenden Schwierigkeiten, qualifiziertes Fachpersonal zu finden. Einige Kommunen ärgern sich über die gestiegenen Kosten für gebührenpflichtige Musik, insbesondere im Zusammenhang mit Neuberechnungen der Grundfläche und den sogenannten GEMA-Gebühren.
Das bereits erwähnte Gesetz zur Anerkennung und Förderung der Musik- und Jugendkunstschulen könnte möglicherweise in der Zukunft überarbeitet werden. Schwachstellen des Gesetzes sind unter anderem ein komplexerer Verteilungsschlüssel sowie die mit dem Gesetz einhergehende Bürokratie. Die Vorgabe zur Berücksichtigung von festangestellten Lehrkräften mit mindestens 21 Wochenstunden könnte möglicherweise nicht vollständig der Arbeitsrealität vieler Beschäftigter entsprechen. Der Antragsprozess könnte zudem ein finanzielles Risiko für betroffene Einrichtungen darstellen. Manche könnten sich eine Antragstellung womöglich nicht leisten, da sie nicht über ausreichende Rücklagen verfügen, um Mitarbeiter:innen in Vorleistung fest anstellen zu können.
Doch entspricht unser Eindruck der Realität? Wie gestaltet sich die aktuelle kulturpolitische Strategie in Thüringen? Um Antworten auf diese Fragen und viele weitere zu erhalten, hatten wir diesmal das Privileg, Herrn Minister Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff für ein Interview zu gewinnen. Erfahren Sie aus erster Hand, welche Standpunkte und Empfehlungen Herr Prof. Dr. Hoff zu diesen Themen äußert und welche Schwerpunkte die neue kulturpolitische Strategie in Thüringen in diesem Zusammenhang setzen wird.
PianoMe (PM): Lieber Herr Hoff, vielen Dank für Ihre Zeit! Es ist uns eine große Freude, dass Sie zu einem Interview mit PianoMe bereit sind!
Benjamin-Immanuel Hoff (BIH): Sehr gern.
PM: Zu Beginn unseres Gespräches stellen wir unsere Gäste unseren Leserinnen und Lesern kurz vor. Obwohl Sie viele sicherlich bereits kennen, würde ich trotzdem gerne mit unserer Tradition fortfahren: Seit 04.03.2020 sind Sie Thüringer Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei. Nach einem Studium sowie Promotion in Berlin folgten Stationen als Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses sowie später als Staatssekretär im Berliner Senat. Neben Ihrer politischen Tätigkeit sind Sie Mitglied diverser Aufsichts-, Stiftungs- und Verwaltungsräten sowie Kuratorien. Ganz nebenbei haben Sie sich auch im privaten Unternehmertum versucht und waren zwischen 2013 und 2014 Geschäftsführender Gesellschafter der MehrWertConsult – Strategieberatung. Somit sind Sie der ideale Ansprechpartner für unser heutiges Thema.
BIH: Ich muss Sie an zwei Stellen korrigieren. Mein Studium und meine Promotion absolvierte ich parallel zu meiner Mitgliedschaft im Berliner Abgeordnetenhaus. Und Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Chef der Staatskanzlei bin ich seit dem 5. Dezember 2014. Nach der Wahl 2019 nahm ich diese Aufgabe weiterhin wahr, bis durch die kurzzeitige Wahl des FDP-Politikers Thomas L. Kemmerich mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP zum Ministerpräsidenten Thüringens die Amtszeit der rot-rot-grünen Koalition unter Bodo Ramelow unterbrochen wurde. Seit dem 4. März 2020 bin ich wieder im Amt.
PM: Danke Ihnen! Ist wirklich sehr spannend und danke Ihnen für Ihren Einsatz! Gehen wir dann direkt zu unserem heutigen Thema über. Das letzte Kulturkonzept Thüringens von 2012 ist in der Zwischenzeit überholt. Wie sieht es mit der Weiterentwicklung sowie mit der Aktualisierung der kulturpolitischen Gesamtstrategie aus? Ich weiß zum Beispiel, dass einige Initialprojekte, wie ich diese aus meiner Perspektive nennen würde, in den vergangenen Jahren angegangen wurden. Es sollte dabei gemäß meinem Verständnis nicht nur um eine Fortschreibung des bisherigen Konzepts gehen, sondern vielmehr um einen beteiligungsorientierten und extern moderierten Prozess des Kulturplanungsverfahrens unter Einbeziehung von Verbänden, Kommunen, Kulturschaffenden und Bürgern. Wie ist der aktuelle Stand?
BIH: Das Kulturkonzept 2012 war seinerzeit Ergebnis eines bis dahin in dieser Form für Thüringen einmaligen Beteiligungsprozesses. Wir haben auf diesem Konzept aufgebaut. Irgendwann mussten wir uns die Frage stellen, ob wir wieder ein so komplexes Konzept auf die Beine stellen und fortschreiben wollen oder ob die Veränderungen in den Sektoren der Kulturpolitik jeweils für sich genommen so tiefgreifend sind, dass es besser ist, auf diese sektoralen Veränderungen zu achten, statt alles unter ein Konzeptdach zu pressen. Sie werden bereits meiner Darstellung der Abwägungen entnehmen, wofür wir uns entschieden haben. So entstand in den vergangenen Jahren die „Theaterperspektive 2025“. Sie war die Grundlage für die Theaterverträge von 2017 bis 2025, die nun bis 2030/32 verlängert wurden. Sie sind vorhin darauf eingegangen. Eine Museumsperspektive wurde gemeinsam mit dem Museumsverband und dessen Mitgliedern erarbeitet, die inzwischen wieder fortgeschrieben wurde. Erst kürzlich publizierten wir die Digitalstrategie für die Thüringer Kultur. Alle diese Strategiepapiere entstanden in einem partizipativen Prozess, auf Basis von empirischen Erhebungen und immer mit dem Anspruch, bei Bedarf anzupassen, zu verändern, hinzuzufügen. Unsere Kulturstrategie ist also wie das Bewohnen und stete Umbauen eines liebgewordenen, nicht immer einfachen Hauses. Irgendwas ist immer zu tun und für umsonst ist es nicht zu haben.
PM: Das hört sich doch optimistisch an! Wie sehen die nächsten Schritte aus?
BIH: Uns beschäftigt das Thema Nachhaltigkeit in der Kultur und – natürlich – die Frage, wie wir die Kulturförderung verbessern können. Da geht es nicht unbedingt um mehr Geld, sondern um Verlässlichkeit und Vereinfachung. Wir werden alle Förderungen vom Antrag über die Bewilligung bis zur Verwendungsnachweisprüfung digitalisieren. Die Forderung des Thüringer Kulturrates, für die Dachverbände eine institutionelle Finanzierung einzuführen, setzten wir um und haben dazu auch noch für sogenannte Knotenpunkte in der Kultur mehrjährige Förderungen eingeführt, damit die Planungssicherheit verbessert werden kann. Last but not least: Wir passen die Dotierungen der Stellen in der Kultur an, damit gutes Geld für gute Arbeit gezahlt wird.
PM: Der Deutsche Kulturrat blickt mit Sorgen auf die in 2024 anstehenden Wahlen in Thüringen. Umfragen zufolge könnte die AfD dabei neue Höchstwerte erreichen. Es werden nämlich ähnliche Entwicklungen wie in Polen oder Ungarn befürchtet. Teilen Sie diese Sorge? Wie kann die neue Landesregierung, unabhängig von dem Ausgang der anstehenden Wahlen, den gerade besprochenen Prozess beeinflussen? Kann dieser gar gestoppt werden?
BIH: Zunächst erstmal kann jede Landesregierung im gesetzlichen Rahmen neue Akzente setzen, Förderungen beenden und neue schaffen. In den 2000er Jahren wurden gemäß der damals herrschenden neoliberalen Sparlogik massive Kürzungsprogramme umgesetzt.
Die Gefahr der AfD besteht darin, dass sie, wie in Ungarn oder Polen, versuchen wird, die Regeln neu zu schreiben und die demokratischen Mechanismen und Institutionen anzugreifen. Im Ergebnis würde dann eine illiberale Demokratie entstehen. Das macht sie ja selbst sehr deutlich. Für die Kulturinstitutionen, die der AfD oftmals ein Dorn im Auge sind, deren Arbeit von dieser Partei offen infrage gestellt wird und für die Art. 5 Abs. 3 GG, die Freiheit der Kunst, nicht mehr uneingeschränkt gelten soll, wäre dies eine große Gefahr. Nicht als Parteipolitiker oder Minister, sondern als Bürger dieses Landes, der aus der DDR kommt, sage ich deshalb sehr klar: Bei den Wahlen in Ostdeutschland und kommendes Jahr in Deutschland geht es um den Fortbestand der Freiheit und die Demokratie, die 1989 in der Friedlichen Revolution erkämpft wurde.
PM: Im Sommer 2023 hat die actori GmbH den Abschlussbericht „Perspektiven Kultureller Bildung und Teilhabe in Thüringen“ veröffentlicht. Ziel dieser Auftragsvergabe seitens der Thüringer Staatskanzlei sowie des Kulturrats Thüringen e.V. war es, im Rahmen einer Fokusgruppen-Befragung, Herausforderungen und Entwicklungen in der kulturellen Bildungslandschaft Thüringens zu identifizieren und diese in einem Bericht zusammenzufassen. Zu welchen zentralen Herausforderungen kam die actori GmbH und welche möglichen Lösungsansätze im Bereich „Kulturelle Bildung in Thüringen“ wurden denn ausgearbeitet und was sind nun die nächsten Schritte?
BIH: Der Bericht ist ein Beispiel für die von mir bereits beschriebenen sektoralen Konzepte, über die ich vorhin sprach. Wir sind mitten im Prozess, eine Sektorstrategie „Kulturelle Bildung und Teilhabe“ für Thüringen gemeinsam mit dem Kulturrat Thüringen zu erarbeiten, die im Sommer vorliegen wird. Hierbei geht es darum, genauer hinzusehen und sich einerseits mit den Herausforderungen, aber auch mit Lösungsvorschlägen auseinanderzusetzen. Herausfordernd sind zum Beispiel Fragen der Förderung und Finanzierung, der Personalstärkung, der Inklusion, der Erreichbarkeit. Spannend ist es auch, näher hinzusehen, wie sich das Publikum verändert, das Angebote für kulturelle Bildung nutzt, welche Bedürfnisse es hat und wie sich dies entwickelt. Was ist mit dem Bereich Schule oder dritten Orten? Der Bericht hat sieben Themen von Perspektiven formuliert. Um Beispiele zu nennen: Stärkend würde sich die allgemeine Bedeutungssteigerung und Wahrnehmung der kulturellen Bildung und derjenigen, die Programme und Angebote umsetzen, auswirken. Förderlich wäre es auch, ein Leitbild zu formulieren, ländliche Räume zu stärken, die Bildungseinrichtungen und außerunterrichtliche Angebotsträgerinnen und ‑träger zu vernetzen, dabei den Transformationswillen der Beteiligten anzusprechen. Immer geht es darum, den Dialog zwischen Kulturanbietenden, kulturpolitischen Strukturen und Nutzerinnen und Nutzern aller Altersgruppen, angefangen von Kindergartenkindern über Jugendliche, Erwachsene bis Seniorinnen und Senioren, anzuregen. Hier sehe ich, bei allen aktuellen und erfolgreichen Programmen, noch viel Potenzial. Darüber hinaus ist es genauso wichtig, sich länderübergreifend zu engagieren, kulturelle Bildung ist ein bundesweites Thema der Gegenwart und Zukunft. Online-Portale, wie zum Beispiel „makura.de“ der Kulturstiftung der Länder, fördern den gemeinsamen Austausch aller Bundesländer über kulturelle Bildung in Deutschland und bieten einen vielfältigen und komplexen Zugang an – so komplex und vielschichtig wie unsere Gesellschaft ist.
PM: Dem aktuellen Koalitionsvertrag habe ich entnommen, dass die Arbeit der Musik- und Jugendkunstschulen planungssicher und qualitätsorientiert ausgestaltet werden soll. Das (neue) Thüringer Gesetz zur Anerkennung und Förderung der Musik- und Jugendkunstschulen geht in diese Richtung. Dieses soll grundsätzlich für Planungssicherheit für die in Thüringen staatlich anerkannte Musik- und Jugendkunstschulen sorgen, was sehr zu begrüßen ist. Allerdings weist dieses Gesetz meines Erachtens auch einige Schwachstellen aus. Zu nennen sind meines Erachtens unter anderem zum einen der komplexere Verteilerschlüssel und zum anderen der §3 Abs. 3 des Gesetzes, wonach der Anteil der unbefristet und sozialversicherungspflichtig beschäftigten Lehrkräfte mit mindestens 21 Wochenstunden in der Menge gegenüber den freien Honorarlehrkräften mindestens 50 Prozent betragen muss. Dies könnte meines Wissens nach an der Arbeitswirklichkeit vieler Beschäftigten vorbeigehen. Wie kam es zu dieser Vorgabe im Gesetz?
BIH: Die Abgeordneten sowohl der Regierungskoalition als auch der Fraktion der CDU im Thüringer Landtag waren sich einig, diese Regelungen so zu treffen. Im parlamentarischen Anhörungsprozess gab es Hinweise aus den Verbänden und Musik- sowie Jugendkunstschulen, von denen einige aufgegriffen wurden, andere nicht. Das Gesetz ist jetzt etwas mehr als ein Jahr in Kraft. Es wird sinnvoll sein, im Laufe dieses Jahres die bisher gesammelten Erfahrungen zu bewerten und nach der Landtagswahl im Herbst diesen Jahres Schlussfolgerungen für mögliche verbessernde Anpassungen im Gesetz zu formulieren.
PM: Es wird auch befürchtet, dass einigen Vereinen und Musikschulen das Aus drohen könnte. So hat zum Beispiel das Jugendblas- und Schauorchester Weimar zwar den Antrag gestellt, anschließend aber das Verfahren abgebrochen, weil der Verein nicht über genügend Rücklagen verfügte, um in Vorleistung Mitarbeiter fest anzustellen. Im Endergebnis wurde der Antrag abgelehnt, und dem Verein stehen kaum noch öffentliche Mittel zur Verfügung. Dieses Schicksal wird auch von einigen Musikschulen geteilt, die vor dem Gesetz gefördert wurden und nun „leer“ ausgehen müssen, obwohl diese ebenfalls viele Kinder und Jugendliche erreichen. Mir ist bekannt, dass auch nicht anerkannte Musik- und Jugendkunstschulen weiterhin gezielte Projektanträge stellen können. Eine gesicherte Planungssicherheit ist das aber wirklich nicht. Auch der geplante Etat für diesen Bereich fällt ausgerechnet in 2024 kleiner aus. Wie wird mit diesen Erfahrungen aus der Praxis umgegangen und was können Sie diesen Schulen und Vereinen mit auf den Weg geben?
BIH: Wir haben ein zweistufiges Verfahren eingeführt: Zuerst kann man eine staatliche Anerkennung beantragen, die man bekommt, wenn bestimmte inhaltliche Qualitätsanforderungen erfüllt werden. Diese dann staatlich anerkannten Musik- und Jugendkunstschulen sind berechtigt, Förderanträge für Leistungen aus dem Musik- und Jungendkunstschulgesetz zu stellen. Erfüllen sie die Fördervoraussetzungen, werden diese Anträge bewilligt.
Durch dieses gestufte Verfahren sollen einheitliche Qualitätsstandards für staatlich anerkannte Musik- und Jugendkunstschulen gewährleistet werden. Dies hat gleichzeitig zur Folge, dass für Einrichtungen, die die staatliche Anerkennung entweder nicht beantragt haben oder deren Antrag abgelehnt wurde, eine Leistung aus den Mitteln des Musik- und Jugendkunstschulgesetzes grundsätzlich nicht mehr möglich ist.
Ihre Information, wonach Projektfördermittel von Musik- und Jugendkunstschulen auch außerhalb des Gesetzes gewährt werden können, ist nicht ganz zutreffend. Die Förderung von Musikschulen ist inzwischen nur noch und ausschließlich nach dem ThürMJKSchulG möglich. Einzelne Projektförderungen konnten im vergangenen Jahr noch über einen Sonderetat vergeben werden. Für 2024 ist das nicht mehr möglich. Insoweit werden die nicht anerkannten Musik- und Jugendkunstschulen landesseitig keine Förderungen der TSK erhalten können.
PM: Wo wir schon über die Kulturförderung sprechen: Seit einiger Zeit hören wir immer wieder, dass die aktuelle Fördersystematik reformiert werden soll. Insbesondere soll ein nachhaltiges künstlerisches Arbeiten ermöglicht werden. Ein weiterer Punkt betrifft eine gewisse Flexibilisierung der aktuellen Fördersystematik. Dieser lautet: Weg vom „Abhaken der Kriterien“ und hin zur flexiblen Projektförderung. Wie sehen Sie die aktuelle Fördersystematik des Freistaat Thüringen?
BIH: Ich habe vorhin bereits deutlich gemacht, wie wir die Förderpolitik angepasst und verbessert haben. Zusätzlich dazu lässt sich sagen: Wir wollen auch in Zeiten kleiner werdender Haushalte und des demografischen Wandels weiterhin Kultur ermöglichen. Das bedeutet, dass wir genau überlegen müssen, wie wir in einem Flächenland wie Thüringen Angebote erhalten oder schaffen können. Dazu müssen wir unsere Mittel zielgerichtet einsetzen. Es braucht – mehr als früher – Kriterien und Prioritäten in der Kulturförderung. Andere Länder sind da schon sehr weit fortgeschritten. Die Erarbeitung bzw. Konsolidierung derartiger Grundsätze ist eine wichtige Aufgabe, der wir uns aktuell stellen müssen.
PM: Herr Hoff, als Strategieberater kennen Sie sicherlich das Bürokratie-Ärgernis der deutschen Unternehmen u.a. aus dem Kulturbereich. Wie steht es um diesen Punkt im Bereich „Kultur“ in Thüringen?
BIH: Wir sind in Deutschland insgesamt zu unbeweglich und zu wenig digital. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass auch Maßnahmen der Entbürokratisierung sich als zu schwerfällig erweisen. Ich denke, dass wir im Bereich der Kultur in Thüringen recht schlank und beweglich aufgestellt sind. Als Staatskanzlei, die auch das für Kultur zuständige Ressort ist, sowie bei der Kulturstiftung Thüringen, mit der wir die zeitgenössische Kunst und Kultur fördern.
Die größere Schwierigkeit besteht darin, dass sich im Bereich des Ehrenamtes die Strukturen verändern. Immer mehr Menschen binden sich nicht mehr langfristig, sind aber gern bereit, bei konkreten Projekten zu helfen. Deshalb nimmt auch das Engagement insgesamt nicht ab, sondern bleibt stabil auf sehr hohem Niveau. Das Ehrenamt lebt zugleich von Menschen, die sich z. B. in Vereinen für Vorstände engagieren und damit die tragenden Säulen bauen, für das temporäre Projektengagement der vielen. Brechen diese Säulen weg, wird es schwer. Da müssen wir unterstützen und es diesen Ehrenamtlichen so einfach wie möglich machen.
PM: Wo wir schon über das Unternehmertum und auch Bürokratie sprechen: Wie sieht es in Puncto einer besseren und vereinfachten Verzahnung kultureller und wirtschaftlicher Aktivitäten, ggf. durch eine entsprechende Schnittstelle zwischen Kultur- und Wirtschaft in Thüringen aus? Ich meine dabei nicht nur eine Art Verzahnung von Wirtschaft und Kultur als die Zusammenarbeit zwischen Verwaltungen, sondern als die Zusammenarbeit zwischen Verwaltungen und der „Privatwirtschaft“. Ist so eine Verzahnung aus Ihrer Sicht sinnvoll und wenn ja, wie kann diese aus Ihrer Sicht am effektivsten funktionieren?
BIH: Auch eine Generation nach der Friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung sind die sozio-ökonomischen Unterschiede in Ost und West massiv. Wir haben in Ostdeutschland nur eine einzige Unternehmenszentrale. Die meisten großen Unternehmen haben hier im Osten quasi nur Regionalgeschäftsstellen. Kultursponsoring und Mäzenatentum gibt es zwar auch im Osten – und Potsdam ist hier nicht der typische Osten – aber auf viel niedrigerem Niveau. Die öffentliche Hand ist im Osten immer noch auch Unternehmensersatz und das, obwohl die Finanzkraft der Ostländer unter denen der Westländer wie Bayern, Hessen oder Baden-Württemberg liegt. Und die Finanzkraft der ostdeutschen Kommunen liegt bei etwas mehr als 60 Prozent der westdeutschen Kommunen. Insoweit stellen sich manche Fragen für uns überhaupt nicht.
PM: Ich persönlich fand die Absicht aus dem Koalitionsvertrag bzgl. des Galerie- und Atelier-Programms sehr sinnvoll. Dieses sollte eine Zwischennutzung oder auch dauerhafte Nutzung leerstehender Immobilien mit der Bereitstellung von Ausstellungs- und Arbeitsmöglichkeiten bildender Künstlerinnen und Künstler verknüpfen. Ich könnte mir bei diesem Punkt unter anderen auch eine wunderbare Verzahnung von Wirtschaft und Kultur vorstellen sowie gegebenenfalls eine Ausweitung einer solchen Verzahnung auf die Musikschaffenden. Wie beurteilen Sie die Umsetzung dieser Absicht?
BIH: Auch hier gilt, was ich gerade sagte. Das Thema „Zwischennutzungen leerstehender Liegenschaften“ ist bei uns im Osten weniger ein Thema der Public-Private-Partnerships, sondern wir reagieren damit auf die Veränderungen in den Innenstädten. Der Onlinehandel, die Corona-Pandemie, die Insolvenz von Galeria-Karstadt-Kaufhof zeichnen die Karten unserer Innenstädte neu. Das hat auch Vorteile. Die ausschließlich auf Konsum getrimmten Innenstädte können wieder diversifizierter werden. Kultur und Wohnen können in die Innenstädte zurückkehren. Umbauten können und werden dazu beitragen und Zwischennutzungen eben auch. Städte wie Jena oder Altenburg gehen da sehr strategisch ran. Wir fördern die sogenannten Leergut-Agenten, die genau das unterstützen. Ein Ergebnis übrigens der Thüringer Internationalen Bauausstellung „StadtLand Thüringen“, die im vergangenen Jahr zu Ende ging. Die Stiftung Baukultur mit Sitz in Apolda wird diese IBA-Governance fortsetzen.
PM: Sehr interessant! Lassen Sie uns bitte kurz über das Thema „Digitalisierung“ sprechen. Welchen Stellenwert hat der Einzug der Digitalisierung im Kulturbereich für Sie persönlich? Denn insbesondere die Corona-Pandemie hat einen gravierenden Mangel, unter anderem im „Kultur“ – Bereich, sichtbar gemacht. Dem aktuellen Koalitionsvertrag konnte ich keine Vorhaben in dieser Richtung entnehmen. Ich weiß aber, dass die Staatskanzlei gemeinsam mit der Digitalagentur Thüringen und Vertretern aus der Kultur eine eigene Strategie in 2023 erarbeitet hat. Wie sieht diese aus und welche Maßnahmen sollen nun umgesetzt werden?
BIH: Die Pandemie der Jahre 2020 bis 2022 hat bis dahin ganz ungeahnte Kräfte in der Digitalisierung freigesetzt. Plötzlich traf man sich online, fand Jugendarbeit digital statt, gab es Übertragungen im Internet. Durch die Corona-Jahre hat die Digitalität in ganz Deutschland einen erheblichen Schub bekommen, der jetzt nachwirkt. Es ist nicht mehr die Frage, ob man digital präsent ist, sondern wie. Digitale Ausstellungen, Vernetzung von bestehenden Daten, mobile Anwendungen – das wäre ohne die Pandemie-Zeit heute so nicht denkbar. Bei all den verschiedenen Ansätzen und Initiativen brauchte es ein gemeinsames Verständnis darüber, was man eigentlich meint und welche Prioritäten man setzen will. Daher haben wir unsere Digitalstrategie nun auch umgedeutet als „Strategie zur Digitalität“. Es ist nicht mehr nur entscheidend, welche Objekte digital vorliegen – es ist plötzlich die große Frage, wie kann man sie wozu für alle nutzen? Eine gute Initiative in diesem Zusammenhang ist der Datenraum Kultur des Bundes: Thüringen beobachtet das Thema sehr genau und eruiert aktuell, wie wir diese neue Form der Vernetzung für unsere kleinteilige Kulturstruktur nutzen können.
Konkrete Maßnahmen werden derzeit mit all den Teilnehmenden am Strategieprozess erarbeitet und zu einem umsetzungsreifen Maßnahmenpaket gebündelt. Da die Teilnehmenden am Prozess aus ganz unterschiedlichen Sektoren der Kulturarbeit kommen, sind die Maßnahmen auch sehr divers. Allen ist wichtig, dass es gemeinsame Standards gibt, die auch außerhalb Thüringens relevant sind – die Einhaltung der FAIR-Prinzipien z. B., aber auch die gemeinsame Nutzung von Daten: Wer seine Inhalte digital anbietet, sollte auch dafür offen sein, darüber mit anderen zusammenzuarbeiten.
Wir stellen zudem fest, dass es überall den Wunsch nach Schulungen und Weiterbildung in dem Bereich gibt und dass eigentlich alle Kulturakteurinnen und ‑akteure sehr ähnliche Herausforderungen sehen. Hier müssen wir als Land prüfen, wie wir ggf. zentrale Strukturen aufbauen und unterstützen, damit nicht jede und jeder das sprichwörtliche Rad neu erfinden muss.
PM: Dies ist meines Erachtens in der Tat sehr lobenswert! Die Corona-Pandemie hat aber leider nicht nur den gravierenden Mangel im Bereich der Digitalisierung sichtbar gemacht. Seit dem Ausbruch der Pandemie haben sich unter anderem das Leben sowie das Konsumentenverhalten zum Teil grundlegend verändert. Die Pandemie hat das Thema „Nachhaltigkeit“ mehr in den Vordergrund gerückt. Es wurden diverse Vorschläge unterbreitet, wie die Wirtschaft sowie das soziale Zusammenleben nach der akuten Corona-Krise wiederbelebt und nachhaltiger werden können. E-Mobilität voranbringen, Sharingkonzepte effektiver nutzen, Gebäudesanierung ankurbeln, grüne Wasserstoffindustrie aufbauen – das sind nur einige Ideen. Welchen Stellenwert hat das Thema „Nachhaltigkeit“ im Rahmen kultureller Förderung in Thüringen? Welche Projekte und Initiativen wurden bereits angegangen?
BIH: Das Thema Nachhaltigkeit zieht sich durch alle Kultursparten. Krisen wie die Energieknappheit beschleunigen den Prozess. Alle Kulturakteurinnen und ‑akteure sind bestrebt, ihre Einrichtungen und Projekte klimafreundlich zu betreiben und durchzuführen. Die Länder arbeiten an einer gemeinsamen Strategie im Rahmen der Kulturministerkonferenz und ihrer Untergremien. In Förderrichtlinien soll die Vorgabe der nachhaltigen Ressourcengestaltung Eingang finden. Dies ist ein Prozess, der uns in der Kultur stetig begleitet. Ein Baustein der Nachhaltigkeit im Kulturbereich ist das Thema „Denkmalschutz und Klimaschutz“. Hier hat Thüringen mit Vollzugshinweisen, die das Errichten von PV-Anlagen auf Denkmalen betreffen, den Ausbau der erneuerbaren Energien vereinfacht und beschleunigt. In der Praxis werden diese Hinweise gut angenommen und öffentliche wie private Eigentümerinnen und Eigentümer können nunmehr auf eine zügige Erlaubnis für ihre Anlage hoffen.
PM: Lieber Herr Hoff, wir danken Ihnen für Ihre Zeit sowie das sehr interessante Gespräch! Wir wünschen Ihnen alles Gute und viel Erfolg bei allem, was Sie noch vorhaben! Wir bleiben in Kontakt.
BIH: Dankeschön.
Copyright Bild: Jacob Schröter für die Thüringer Staatskanzlei