Kassensturz bei „Neustart Kultur“: Mangelnde Kontrolle und Überförderung von Kulturinstitutionen, während individuelle Künstler:innen zu kurz kommen.

"Neustart Kultur": Mangelnde Kontrolle und Überförderung von Kulturinstitutionen

Die Vergabe von Fördermitteln im Rahmen des Programms „Neustart Kultur“ hat in letzter Zeit zunehmend Kontroversen und Kritik ausgelöst. Die Bundesregierung hatte während der Corona-Pandemie die „Kulturmilliarde“ eingeführt, um dem notleidenden Kulturbetrieb schnell und unkompliziert zu helfen. Das Programm wurde im Juni 2020 gestartet, und im Juli 2021 wurde eine weitere Milliarde für dieses Vorhaben beschlossen. Trotz der lobenswerten Absicht, den Kulturbetrieb zu unterstützen, stehen die Transparenz und Fairness bei der Verteilung der Gelder nun im Fokus zahlreicher Diskussionen.


Bereits während der Umsetzung des Programms gab es erhebliche Kritik, unter anderem aufgrund bürokratischer Hürden, die dazu führten, dass die Gelder nur schleppend verteilt wurden. Im September 2023 wies der Bundesrechnungshof darauf hin, dass bis zum Abschluss des Programms im April 2022 weniger als die Hälfte der „Neustart“-Mittel tatsächlich ausgegeben worden war.

Der Deutschlandfunk (DLF) äußerte bereits im November 2022 Kritik an der Vergabepraxis. Nun legt der Sender weitere Ergebnisse seiner aufwendigen Recherche vor: Das Redaktionsteam wertete mehr als 50.000 Fördervorgänge aus und stellte dabei Regelverstöße und Auffälligkeiten fest.[1] Einige der hervorgebrachten Kritikpunkte sind:

  • Der Fördertopf sei bei weitem nicht ausgeschöpft worden.
  • Der Bund habe wenig Übersicht über die Verteilung der Mittel gehabt.
  • Eine effektive Kontrolle sei kaum möglich gewesen.
  • Manche Künstler:innen und Institutionen seien auch mehrfach gefördert worden. Es habe Kulturinstitutionen gegeben, die regelrecht „überfördert“ worden seien.
  • Mehr als zwei Drittel der Hilfen hätten Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft sowie Kulturinstitutionen erhalten, an Künstler:innen sei nur knapp ein Drittel gegangen.
  • Die Sparte „Bildende Kunst“ habe eine deutlich niedrigere Chance auf Förderung gehabt.

Mangelnde Transparenz

Mangelnde Transparenz bei der Vergabe von Fördermitteln im Kulturbereich

Ein zentraler Kritikpunkt bezieht sich auf die unzureichende Transparenz im Auswahlprozess der Fördermittel. Viele Kulturschaffende beklagen, dass die Kriterien zur Auswahl der geförderten Projekte und Institutionen nicht klar definiert waren. Diese mangelnde Transparenz schuf Raum für Spekulationen und Unmut, da nicht nachvollziehbar war, warum bestimmte Anträge bewilligt und andere abgelehnt wurden.

Befürchtungen bezüglich politischer Einflussnahme

Ein weiterer Aspekt, der für Kritik sorgt, betrifft die mögliche politische Einflussnahme bei der Vergabe der Fördermittel. Es besteht die Befürchtung, dass Projekte, die der politischen Agenda näher standen, bevorzugt werden konnten. Diese Besorgnis wirft Fragen zur Unabhängigkeit des Auswahlprozesses auf und untergräbt das Vertrauen der Kulturschaffenden in die Fairness der Mittelverteilung.

Das Redaktionsteam hat herausgefunden, dass mehr als zwei Drittel der finanziellen Unterstützung an Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft sowie Kulturinstitutionen gingen, während nur knapp ein Drittel direkt an Künstler:innen ausgeschüttet wurde. Als „Top-Geförderte“ wurde unter anderem die Frankfurter Buchmesse mit 12,5 Millionen Euro identifiziert. Diese Verteilung verstärkt die Wahrnehmung, dass die Fördermittel möglicherweise nicht in ausreichendem Maße den individuellen Bedürfnissen der Künstler:innen gerecht werden, sondern stattdessen bestimmte Branchen oder Institutionen bevorzugt werden.

Ungerechte Verteilung

Ein weiterer Punkt der Kritik kommt von einigen Künstler:innen und Kulturschaffenden, die eine ungleiche Verteilung der Gelder beklagen. Es scheint, als würden etablierte Institutionen und große Projekte bevorzugt, während kleinere, unabhängige Künstler:innen und Kultureinrichtungen leer ausgehen. Diese Ungleichheit verstärkt bestehende Strukturen und benachteiligt diejenigen, die ohnehin schon über weniger Ressourcen verfügen.

Die Recherchen des Deutschlandfunks (DLF) bestätigen diese Wahrnehmung. Das Redaktionsteam kam zu dem Ergebnis, dass einige Institutionen mehrfach gefördert wurden, obwohl dies eigentlich nicht möglich sein sollte. Besonders auffällig war die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), die insgesamt 26 Millionen Euro erhalten hatte. Das Redaktionsteam stellte fest, dass die Stiftung in „mehreren Fällen über ihre eigenen Anträge entschieden“ hatte und sowohl Geldgeber als auch Zahlungsempfänger war. Von 16 Anträgen der Stiftung wurden 13 von Stellen bewilligt, die mit ihr in Verbindung standen. Die Stiftung wies die Kritik scharf zurück und sprach von Falschinformationen. Die vorgebrachten Argumente erscheinen jedoch aufgrund der Struktur und bestehender Netzwerke wenig überzeugend.

Forderung nach mehr Transparenz und Partizipation

Vor dem Hintergrund der Kritik erheben viele Stimmen aus der Kulturszene die Forderung nach einer umfassenderen Transparenz im Auswahlprozess der Fördermittel. Klare Kriterien sollen sicherstellen, dass die Vergabe nachvollziehbar und gerecht erfolgt. Zusätzlich wird eine verstärkte Einbindung der Kulturschaffenden selbst in den Entscheidungsprozess gefordert, um die Vielfalt der kulturellen Landschaft angemessen zu berücksichtigen. Die Teilnahme der Kulturschaffenden an den Entscheidungen könnte dazu beitragen, dass die Bedürfnisse und Anliegen der verschiedenen Akteure besser verstanden und berücksichtigt werden.

Darüber hinaus wird generell eine erhöhte Transparenz, insbesondere von (politischen) Kulturinstitutionen, gefordert: Wie werden diese finanziert? An welchen Ausschreibungen wurde erfolgreich teilgenommen? Nach welchen Kriterien werden Projekte ausgewählt? Die Kulturinstitutionen werden aufgefordert, offener über ihre Strukturen, Entscheidungsprozesse und Finanzierungsquellen zu informieren, um das Vertrauen in die Fairness und Offenheit des Förderprozesses wiederherzustellen.

Fazit

Die Kritik an der Vergabe von Mitteln im Rahmen von „Neustart Kultur“ unterstreicht die dringende Notwendigkeit einer eingehenden Überprüfung und möglicher Anpassungen der Förderlandschaft, insbesondere im Kulturbereich in Deutschland. Transparenz und Fairness sollten grundlegende Prinzipien jeder Förderinitiative sein, um das Vertrauen der Kulturschaffenden zu stärken und sicherzustellen, dass die finanzielle Unterstützung dort ankommt, wo sie am dringendsten benötigt wird.

Ein offener Dialog und konkrete Maßnahmen zur Verbesserung sind entscheidend, damit ein Förderprogramm seinen Zweck erfüllen kann und einen nachhaltigen Neustart für die Kulturbranche gewährleistet. Es bedarf einer kontinuierlichen Zusammenarbeit zwischen Fördergebern und Kulturschaffenden, um die Effektivität von Förderprogrammen zu erhöhen und potenzielle Schwachstellen zu beheben.

PianoMe ist darüber hinaus fest davon überzeugt, dass die Förderlandschaft nicht nur transparenter, sondern auch nachhaltiger gestaltet werden sollte. Es wäre wünschenswert, Projekte und Vorhaben zu unterstützen, die glaubhaft nachweisen können, dass ein langfristiges Fortbestehen möglich ist. Eine Förderpolitik, die Multiplikatoreneffekte auslöst und nachhaltige Entwicklungen in der Kulturbranche fördert, könnte einen bedeutenden Beitrag zur Stärkung und Wiederbelebung des Kultursektors leisten.

[1] https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/kritik-an-der-vergabe-von-neustart-kultur-geld-fehlende-kontrolle-und-ueberfoerderung-92795907.html (zugegriffen am 02.02.2024)