In den letzten Jahren hat sich in vielen Ländern ein ernstes und wachsendes Problem abgezeichnet: der Mangel an Musiklehrer:innen. Obwohl Musikunterricht allgemein als ein wesentlicher Bestandteil der schulischen Bildung betrachtet wird, ist die Zahl der verfügbaren, qualifizierten Lehrkräfte, die in der Lage sind, diesen Unterricht auf hohem Niveau zu erteilen, stark rückläufig. Dieser Mangel hat weitreichende und tiefgreifende Konsequenzen, die sowohl das Schulsystem als auch die musikalische Entwicklung der Schüler:innen erheblich beeinflussen. Eine neu erschienene Studie mit dem Titel „Lehrkräftemangel in den Fächern Kunst und Musik“1 prognostiziert einen dramatischen Engpass bei Musiklehrer:innen in den Sekundarstufen I und II, was die Dringlichkeit des Problems erneut unterstreicht.
In diesem Artikel werden wir die zugrunde liegenden Ursachen des Musiklehrer:innenmangels umfassend untersuchen und die verschiedenen Herausforderungen, die sich aus diesem Mangel ergeben, näher beleuchten. Wir werden uns mit den Konsequenzen befassen, die dieser Mangel für das Bildungswesen und für die musikalische Ausbildung der Schüler:innen hat, und mögliche Lösungsansätze diskutieren, um dem drohenden Defizit entgegenzuwirken.
Ursachen des Musiklehrer:innenmangels
Der Mangel an Musiklehrer:innen lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen:
- Rückläufige Bewerberzahlen für das Lehramt Musik: Der Beruf der Musiklehrerin bzw. des Musiklehrers setzt eine spezielle Ausbildung voraus, die sowohl umfangreiche pädagogische als auch künstlerische Fähigkeiten umfasst. Der Weg zu dieser Qualifikation ist nicht nur anspruchsvoll, sondern oft auch weniger lukrativ im Vergleich zu anderen Berufen im Musikbereich, wie etwa der Tätigkeit als freiberufliche/r Musiker:in oder Komponist:in. Diese Tatsache trägt dazu bei, dass immer weniger junge Menschen eine Karriere als Musiklehrer:in anstreben. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2020, die bereits vor der Covid-Pandemie durchgeführt wurde, zeigte einen akuten Mangel an Musiklehrer:innen, insbesondere in den Grundschulen. Es ist zu erwarten, dass sich diese Situation durch die Pandemie weiter verschärft hat.
- Demografischer Wandel: Ein erheblicher Teil der gegenwärtigen Musiklehrer:innen geht in den nächsten Jahren in den Ruhestand, ohne dass genügend Nachwuchs bereitsteht, um diese Lücken zu füllen. Die sinkende Geburtenrate verschärft die Situation zusätzlich, da weniger junge Menschen in das Berufsleben eintreten.
- Schulpolitische Entscheidungen: In einigen Bildungssystemen wird der Stellenwert der musischen Fächer, insbesondere der Musik, immer wieder in Frage gestellt. Kürzungen im Bildungsbudget führen oft dazu, dass Musikstunden reduziert oder sogar ganz gestrichen werden. Dies hat zur Folge, dass der Beruf der Musiklehrerin bzw. des Musiklehrers an Attraktivität verliert und weniger junge Menschen ihn als Karriereweg wählen.
- Besondere Herausforderungen in ländlichen Regionen: Der Mangel an Musiklehrer:innen ist in ländlichen Gebieten besonders ausgeprägt, da es oft schwierig ist, qualifizierte Lehrkräfte in diese Regionen zu locken. In kleineren Schulen sind die Musikkurse oft die ersten, die im Rahmen von Einsparungen gestrichen werden, was die musikalische Bildung der Schüler:innen erheblich beeinträchtigt.
- Auswirkungen des „Herrenberg-Urteils“: Das sogenannte „Herrenberg-Urteil“ aus dem Sommer 2022 hat die Situation für viele Musiklehrer:innen zusätzlich verschärft. Die verschärften Anforderungen für Honorarbeschäftigungen haben dazu geführt, dass viele Musiklehrer:innen, die bis dahin auf Honorarbasis tätig waren, nun vor Herausforderungen stehen. Diese Regelungen machten es bisher möglich, dass Schulen für Honorarkräfte keine Sozialversicherungsbeiträge leisten mussten. Außerdem konnten Honorarkräfte flexibel ihre Arbeitszeiten und Arbeitsorte wählen, was insbesondere für jene Lehrer:innen vorteilhaft war, die ihre Tätigkeiten mit anderen Verpflichtungen, wie etwa eigenen Musikkarrieren, kombinierten. Die neuen Vorschriften haben diese Flexibilität eingeschränkt und könnten dazu führen, dass weniger Musiklehrer:innen weiterhin diesen Weg beschreiten.
- Unzufriedenheit im Berufsfeld: Viele Musiklehrer:innen berichten von einer hohen Belastung und einem Ungleichgewicht zwischen Stress und verfügbaren Ressourcen.2 Die mangelnde Wertschätzung und die unzureichende finanzielle Entlohnung tragen zur Unattraktivität des Berufs bei. Eine Studie des Deutschen Musikrats hat alarmierende Ergebnisse geliefert: Nicht einmal die Hälfte der Schulkinder erhält Musikunterricht von qualifizierten Lehrkräften, und die Zahl der Bewerbungen für das Lehramt im Fach Musik sinkt kontinuierlich.3
- Kürzung des Musikunterrichts: Zu Beginn dieses Jahres berichteten verschiedene Bundesländer, darunter auch Bayern, dass sie den Musikunterricht zugunsten von mehr Stunden in Fächern wie Deutsch und Mathematik kürzen möchten. Diese Entscheidung trägt zur weiteren Verschärfung des Mangels bei und reduziert die Möglichkeiten für Schüler:innen, eine umfassende musikalische Bildung zu erhalten.
- Attraktivität des Musiklehrer:innenberufes: Immer wieder wird von Musiklehrer:innen die Diskrepanz zwischen der hohen Verantwortung und den schwierigen Aufgaben des Berufs im Vergleich zur oft unzureichenden Vergütung und den instabilen Vertragsbedingungen angesprochen. Die häufige Notwendigkeit, Verträge jährlich zu erneuern und zusätzliche Nebenjobs anzunehmen, erschwert es vielen Musiklehrer:innen, eine stabile finanzielle Existenz aufzubauen.
Herausforderungen für Schulen und Schüler:innen
Der zunehmende Mangel an Musiklehrer:innen hat weitreichende und tiefgreifende Auswirkungen auf das Bildungsangebot an Schulen. Dieser Mangel an Fachkräften führt zu erheblichen Herausforderungen sowohl für die Schulen als auch für die Schüler:innen. Die folgenden Punkte veranschaulichen die Konsequenzen dieses Problems detailliert:
Tabelle: Bilanz aus Lehrkräfteangebot und ‐bedarf in Personen (kumulierte Werte 2023 bis 2035): Allgemeinbildende Schulen der Sekundarstufen I und II4
Viele Schulen sehen sich gezwungen, den Musikunterricht zu reduzieren oder Lehrkräfte aus anderen Fachbereichen einzusetzen, die nicht über die erforderliche Fachkompetenz verfügen. Diese Umstellung kann die Qualität des Musikunterrichts erheblich beeinträchtigen und die musikalische Förderung der Schüler:innen verringern.
Fehlen qualifizierte Musiklehrer:innen, haben viele Schüler:innen nicht die Gelegenheit, eine umfassende musikalische Ausbildung zu erhalten, die neben technischen Fertigkeiten auch kreative und soziale Kompetenzen entwickelt. Musikunterricht ist ein wesentlicher Bestandteil der ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung, da er Kreativität, emotionale Ausdrucksfähigkeit und Teamarbeit fördert.
Zudem sollte die Bedeutung der kulturellen Teilhabe berücksichtigt werden. Musik stellt einen zentralen Bestandteil der Kultur und Identität eines Landes dar. Ein Mangel an qualitativ hochwertigem Musikunterricht könnte langfristig die musikalische Vielfalt und Kultur eines Landes beeinträchtigen.
Lösungsansätze und Perspektiven
- Steigerung der Berufswahlattraktivität: Es ist von entscheidender Bedeutung, die Attraktivität des Musiklehrer:innenberufs zu erhöhen, um mehr junge Menschen für diesen Beruf zu begeistern. Dies könnte durch eine verbesserte Bezahlung und klarere Karriereperspektiven erreicht werden. Es ist ebenso wichtig, den Stellenwert des Fachs Musik sowohl in der Gesellschaft als auch in den Schulen zu betonen und die öffentliche Wahrnehmung zu stärken.
- Verbesserung der Arbeitsbedingungen: Besonders in ländlichen Regionen, wo der Lehrer:innenmangel besonders ausgeprägt ist, könnte eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen Anreize schaffen, um qualifizierte Lehrer:innen dorthin zu bewegen. Hierzu zählen Maßnahmen wie die Bereitstellung von Wohnmöglichkeiten, Zugang zu regelmäßigen Fortbildungen und zusätzliche Unterstützung durch das Bildungssystem, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Lehrer:innen zu verbessern.
- Reform des Musikstudiums: Eine umfassende Reform des Musikstudiums könnte notwendig sein, um die Eignungsprüfungen für das Lehramt im Fach Musik zu überarbeiten. Derzeit könnte es sein, dass die Prüfungen nicht die relevanten Aspekte abdecken.5 Obwohl solche Reformen Zeit in Anspruch nehmen können, wäre der erste Schritt die Entschlossenheit, notwendige Veränderungen anzugehen, um das Studium für zukünftige Lehrer:innen praxisgerechter und effektiver zu gestalten.
- Entwicklung alternativer Ausbildungswege: Zur Erleichterung des Zugangs zum Beruf könnten alternative Ausbildungswege geschaffen werden. Dies könnte insbesondere Musiker:innen aus anderen Berufsfeldern ermöglichen, schneller in den Lehrer:innenberuf einzusteigen. Es könnten spezielle pädagogische Fortbildungen entwickelt werden, die auf die Bedürfnisse von Quereinsteiger:innen zugeschnitten sind. Die Bertelsmann Stiftung schlägt vor, verbindliche Standards und Angebote für Seiteneinsteiger:innen zu etablieren, um den Übergang in den Lehrer:innenberuf zu erleichtern.6
- Technologische Unterstützung nutzen: Der Einsatz von digitalen Lernplattformen und Online-Musikunterricht könnte eine kurzfristige Lösung sein, um den Mangel an Lehrkräften auszugleichen. Besonders in strukturschwachen Regionen könnten diese Technologien dabei helfen, den Schüler:innen dennoch Zugang zu qualitativ hochwertigem Musikunterricht zu ermöglichen und die Unterrichtslücken zu schließen.
- Stärkung von Vernetzung und Kooperationen: Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Schulen, Musikschulen und freiberuflichen Musiker:innen könnte dazu beitragen, den Bedarf an Musikunterricht zu decken. Ein besser vernetztes System, das verschiedene Bildungsträger zusammenbringt, könnte den Mangel an Lehrkräften verringern und gleichzeitig die Qualität des Unterrichts sichern.
Fazit
Der Mangel an Musiklehrer:innen stellt eine bedeutende Herausforderung dar, die sowohl kurzfristige als auch langfristige Maßnahmen erfordert. Um den kulturellen und bildungspolitischen Wert der Musik zu erhalten, müssen Bildungspolitik, Gesellschaft und Musikbranche gemeinsam nach Lösungen suchen. Der Erhalt eines qualifizierten und flächendeckenden Musikunterrichts ist essenziell, um den Schüler:innen Zugang zu kreativer Bildung zu ermöglichen und die kulturelle Vielfalt zu bewahren. Eine nachhaltige Strategie zur Bekämpfung des Musiklehrer:innenmangels ist von größter Bedeutung, und es zeigt sich, dass dieses komplexe Problem mit gezielten und durchdachten Maßnahmen gelöst werden kann.
- Studie „Lehrkräftemangel in den Fächern Kunst und Musik. Zur Bedarfs- und Angebotsentwicklung in den allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufen I und II am Beispiel Nordrhein-Westfalens“, Klaus Klemm, https://www.telekom-stiftung.de/sites/default/files/files/Klemm-Studie-Ergebnisbericht.pdf , zugegriffen am 27.08.2024 ↩︎
- Hauptgründe für den Berufswechsel: https://www.fr.de/politik/schulsystem-tbl-schule-lehrer-beruf-aufgeben-mangelnde-attraktivitaet-zr-92708885.html zugegriffen am 27.08.2024 ↩︎
- https://miz.org/de/nachrichten/studie-mulem-ex-benennt-gruende-fuer-sinkende-studienbewerbungen-fuer-lehramt-musik zugegriffen am 27.08.2024 ↩︎
- Eigene Berechnungen der Studienverfasser nach: KMK (2023b): Lehrkräfteeinstellungsbedarf und ‐angebot in der Bundesrepublik Deutschland 2023 ‐ 2035 ‐ Zusammengefasste Modellrechnungen der Länder. Studie „Lehrkräftemangel in den Fächern Kunst und Musik. Zur Bedarfs- und Angebotsentwicklung in den allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufen I und II am Beispiel Nordrhein-Westfalens“, Klaus Klemm, https://www.telekom-stiftung.de/sites/default/files/files/Klemm-Studie-Ergebnisbericht.pdf , zugegriffen am 27.08.2024 ↩︎
- https://app.backstagepro.de/thema/prof-daniel-eberhard-ueber-loesungsmoeglichkeiten-fuer-den-musiklehrermangel-an-schulen-2023-05-16-mflfHRLNrr zugegriffen am 27.08.2024 ↩︎
- https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2018/oktober/berufsschulen-brauchen-bis-2030-60000-neue-lehrer zugegriffen am 27.08.2024 ↩︎